Von
Catherine Pétillon und Marie Viennot, France-Culture,
7/2/2015
Übersetzt von Michèle Mialane,herausgegeben von Susanne Schuster, Tlaxcala
Während
die Ratingagentur Standard
& Poor's am vergangenen
Freitag (den 6. Februar) die Bonität des Landes herabgestuft hat,
zeigen wir Euch in sechs Schritten mit einer Reihe von Grafiken, wie
die griechische Staatsschuld zu einem Schlüsselelement für die
Zukunft des Euro bzw. Europas geworden ist.
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"Schuldenschnitt. Raus mit dem IWF!". Slogan in Athen. Alkis Konstantinidis © Reuters |
Nun
steht die griechische Staatsschuld schon wieder im Fokus der
europäischen Debatte. Die EU-Rundreise des Premierministers Alexis
Tsipras und dessen Finanzminister Gianis
Varoufakis im Zuge ihres
Amtsantritts hat nicht mal ansatzweise zu einem Konsens geführt.
Ganz im Gegenteil. Am Freitag den 6. Februar hat die
Ratingagentur Standard
& Poor's die Bonität des
Landes sogar herabgestuft, mit der
Begründung, dass die Beziehung zwischen Griechenland und seinen
Gläubigern sich in der vergangenen Woche verschlechtert habe. Aber
wovon ist eigentlich die Rede? Wie steht es um die griechische
Staatsschuld und wie wird es dem Land ergehen? Die Antworten auf
diese für die Zukunft des Euro bzw. Europas entscheidenden Fragen
findet Ihr in sechs Schritten und einer Reihe von Grafiken.
- Die Krise gerät außer Kontrolle: Griechenland kann sich keine Anleihen mehr leisten
Als die griechische Krise im Mai 2014 ausbrach, emittierte
Griechenland wie alle anderen Länder Staatsanleihen. Diese wurden
auf den Finanzmärkten gekauft. Von wem? Von Investmentfonds,
Versicherungsgesellschaften, welche die Lebensversicherungen der
Kleinsparer investierten, Verwalter von Privatvermögen,
Pensionsfonds, die Renten verwalteten, oder auch Banken. Ende 2009
waren die französischen Banken laut der Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich (BIZ) im Besitz der meisten griechischen
Staatsschulden (57 Milliarden Euro), gefolgt von den deutschen Banken
(34 Milliarden Euro). Angesichts der Gefahr, dass Griechenland diese
Staatsschulden nicht mehr zurückzahlen kann, wollten die Besitzer
von griechischen Staatsanleihen diese wieder verkaufen. Folglich sind
die Preise dieser Anleihen in den Keller gestürzt und die Zinsen in
die Höhe geschossen. Als Griechenland sich auf den Finanzmärkten
neues Geld beschaffen wollte, was es früher problemlos tun konnte,
wollte dem Land niemand mehr Geld leihen, außer zu Wucherzinsen (je
höher die Gefahr, dass der Kreditnehmer nicht zurückzahlen kann,
desto höher der Zins).
- Europa kommt zu Hilfe: die Staatsschulden gehen vom privaten auf den öffentlichen Sektor über
Im
Mai 2014 hatten sich die europäischen Banken von der Pleite von
Lehman
Brothers immer noch nicht erholt.
Die potenziell zu verzeichnenden Verluste, falls Griechenland einen
Teil seiner Schulden nicht zurückzahlte, lassen erneute
Bankenpleiten befürchten, diesmal in der Eurozone. Die erste Phase
der Hilfspläne war also
ein ganz einfacher Finanzkniff: die
Schulden sind von den Händen – oder genauer gesagt von den Kassen
– des Privatsektors in jene des öffentlichen übergegangen. Die
privaten Gläubiger haben so 107 Milliarden Euro abgegeben. Um einen
Einbruch der Aktienkurse zu vermeiden, hat die Europäische
Zentralbank (EZB) angefangen, griechische Staatsanleihen zu kaufen.
Der IWF und die Länder der Eurozone haben ihrerseits aber an
Griechenland das Geld geliehen, das das Land brauchte, um seine Raten
zu zahlen. Nun sind die
Schulden also neu strukturiert. Früher bestanden sie zu 80 % aus
Staatsanleihen, die auf den Märkten gehandelt werden konnten. Heute
stellen diese nur 25 % der Schulden dar (79,9 Milliarden Euro, davon
20 bis 25 Milliarden in den Händen der EZB.) Der Rest (241,8
Milliarden Euro) besteht aus
privaten Anleihen. Die
griechischen Schulden betragen insgesamt 321,7 Milliarden
Euro.
3. Wer hat an Griechenland Geld verliehen?
3. Wer hat an Griechenland Geld verliehen?
Der
IWF hat 32 Milliarden Euro verliehen.
Die restlichen 70 % des Gesamtbetrags haben
die Länder der Eurozone geliehen, jedoch auf zwei verschiedene Wege:
Der erste ist das einfache bilaterale Darlehen. Dabei ist laut der jüngsten Zahlen der Europäischen Kommission Frankreich mit 11,4 Milliarden Euro der zweitgrößte, Deutschland der größte Gläubiger.
Der erste ist das einfache bilaterale Darlehen. Dabei ist laut der jüngsten Zahlen der Europäischen Kommission Frankreich mit 11,4 Milliarden Euro der zweitgrößte, Deutschland der größte Gläubiger.
Wenn
der Kreditgeber einen Kredit aufnimmt:
Aber um dieses Geld verleihen zu können, musste der Europäische
Stabilitätsfonds seinerseits einen Kredit aufnehmen. Demnach
hat Frankreich nicht wirklich 31
Milliarden Euro über diesen Fonds verliehen, sondern für diese
Summe gebürgt in Bezug auf die 141,8 Milliarden, welche der
Europäische Stabilitätsfonds geborgt hat. Zahlt Griechenland nicht
zurück, muss Frankreich selbst dafür aufkommen. Wenn man nun das
bilaterale Darlehen und die Garantie in Bezug auf den Europäischen
Stabilitätsfonds addiert,
hat Frankreich an Griechenland über 42 Milliarden Euro verliehen. Im
Vergleich dazu beträgt im Jahre 2015 der Schuletat, der größte
Posten des französischen Haushalts (abgesehen von der Tilgung der
Schuldzinsen), 47 Milliarden Euro.
- Was passiert, wenn Griechenlands Staatsschulden neu verhandelt werden?
Schulden
können auf drei Wegen neu verhandelt (oder im Finanzjargon:
umstrukturiert) werden: sie können teilweise annulliert oder
umgeschuldet, oder aber der Zinssatz kann geändert werden. Alle
diese Mittel wurden schon 2012 eingesetzt. Die privaten Gläubiger
haben Schulden in Höhe von 107 Milliarden Euro erlassen, der
Zinssatz der bilateralen Darlehen wurde herabgesetzt, außerdem hat
der Europäische Stabilitätsfonds Griechenland ein 10-jähriges
Zinsmoratorium gewährt. Heute sind die Spielräume also viel enger.
Viele Ökonomen plädieren schlicht und einfach für eine teilweise
Annullierung der griechischen Staatsschulden. Die Lazard-Bank, die
von der neuen griechischen Regierung als Berater eingesetzt worden
ist, empfiehlt einen Schuldenerlass in Höhe von 100 Milliarden.
Falls die griechische Staatsschuld teilweise annulliert wird, sind
die Verlierer Griechenlands Gläubiger,
also die SteuerzahlerInnen in der
Eurozone, insbesondere FranzosInnen und Deutsche. Eine Lösung ist
dringend nötig: im Juli soll Griechenland 7 Milliarden Euro an die
EZB zurückzahlen für die in ihrem Besitz befindlichen
Schuldscheine. Das wird das Land ohne finanzielle Hilfe nie und
nimmer schaffen. Am 5. Januar haben 300 Ökonomen eine Kolumne
unterzeichnet, „Wir
stehen zu Griechenland UND Europa“.
Ihrer
Meinung nach ist die griechische
Staatsschuld schlicht untragbar. Im Zuge der Sparpläne – eine
direkte Folge der Hilfspläne – ist das griechische BIP seit 2009
um 25 % eingebrochen. Das
unerfreuliche Ergebnis war,
dass die Staatsschuldquote trotz eines Schuldenerlasses von 107
Milliarden Euro durch die privaten Gläubiger (im Jargon auch haircut
genannt, d.h. auf Deutsch Haarschschnitt) explodiert ist.
- Derzeit profitieren Griechenlands öffentliche Gläubiger von diesem Land
Die
Länder der Eurozone haben zwar 226,3 Milliarden Euro an Griechenland
verliehen, aber nicht zu Null Zinsen. Der durchschnittliche Zinssatz
für die vom Stabilitätsfonds gewährten Kredite beträgt 1,5 %,
aber in den ersten zehn Jahren zahlt Griechenland keine Zinsen. Was
die bilateralen Darlehen betrifft, so sind die Zinssätze
unterschiedlich. Das französische Finanzministerium gibt lieber eine
globale Zahl an. Seit 2010 – also in vier Jahren – hat Frankreich
an den Darlehen an Griechenland 729 Millionen Euro verdient, die im
Staatshaushalt als Einnahmen registriert wurden. Das ist so ungefähr
der Etat des Kulturministeriums für das Jahr 2015. Jedoch haben wir
es mit einer Bruttozahl zu tun; die Zinsen, die Frankreich für die
eigens gemachte Anleihe zahlt, um dann Griechenland ein Kredit zu
gewähren, sind davon nicht abgezogen. Was die EZB anbelangt, so
kauft sie seit 2010 griechische Staatsanleihen, die auch Zinsen
einbringen. Laut Einschätzung einer der EZB nahe stehenden Quelle
haben jene Staatsanleihen seit 2010 jährlich 2 Milliarden Zinsen
eingebracht. Ein kolossaler Betrag. In den Jahren 2010,
2011 und 2012 haben die
Zentralbanken der Eurozone (Bundesbank,
Banque de France usw.) dieses Geld
kassiert (die EZB kauft über sie nämlich griechische
Staatsanleihen, so dass sie die auf die Schuldpapiere fälligen
Zinsen auch erhalten.). Drei Jahre lang war die griechische Krise für
Griechenlands europäische Partner also ein einträgliches Geschäft.
Am
27. November 2012 hat die Euro-Gruppe beschlossen, dass diese Zinsen
ab 2013 an die griechische Zentralbank zurückgezahlt werden sollten.
Dieser Entschluss war Teil eines größeren Maßnahmenpakets,
das (damals schon) darauf abzielte, die griechische Staatsschuld
tragbarer
zu machen. Übereinstimmende Quellen schätzen, dass im Jahre 2013
somit 2 bis 3 Milliarden Euro an Griechenland zurückgezahlt worden
sind. Dafür wartet das Land immer noch auf das Geld, das die
Zentralbanken dem Land schulden als Rückzahlung der 2014 gezahlten
Zinsen: laut der griechischen Regierung 1,9 Milliarden Euro.
- Was sind die Vorschläge der neuen griechischen Führung?
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Der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis |
Zwei Kernanliegen:
1) Die griechischen Staatanleihen im Besitz der EZB (20 bis 25
Milliarden Euro) sollten zu ewigen Anleihen (perpetual debts), d. h.
zu unbefristeten Darlehen gemacht werden. Damit können die
anfallenden Zinsen herabgesetzt und vor allem die Rückzahlung des
Kapitals auf ein unbestimmtes Datum (d.h. Sankt Nimmerleinstag)
verlegt werden.
2) Die von dem EFSF und den Staaten der Eurozone gewährten Kredite
sollten in Obligationen (Finanzwertpapiere) verwandelt und ihr Ertrag
(d. h. die gezahlten Zinsen) an das griechische Wirtschaftswachstum
gekoppelt werden.
Solche Anliegen sind keineswegs neu, sie gehören zum Instrumentarium
der finanzpolitischen Maßnahmen, die schon früher vorgeschlagen
wurden, insbesondere beim Problem der argentinischen Staatsschuld.
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