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11/06/2021

Israel hat immer behauptet, seine Landeroberungen 1967 seien nicht geplant gewesen. doch freigegebene Dokumente beweisen das Gegenteil

Adam Raz, Haaretz, 3.6.2021
Übers. OHOV/Tlaxcala

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Im Gegensatz zu der Behauptung, dass Israel sich nach dem Krieg im Juni 1967 unerwartet im Besitz von Gebieten fand, enthüllen deklassierte Dokumente detaillierte Richtlinien, die von den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IVK) im Vorfeld der langwierigen Polizeimission erstellt wurden, mit der sie beauftragt werden sollten.


Arabische Kriegsgefangene werden mit verbundenen Augen zum Verhör in die Altstadt von Jerusalem geführt, 8. Juni 1967. Foto Goren / AP

Jahrelang behauptete der Mainstream der israelischen Geschichtsschreibung, dass die Entscheidungsträger des Landes von den Früchten des Sieges, die im Juni 1967 blitzschnell geerntet wurden, überrascht wurden. „Der Krieg“, sagte Verteidigungsminister Moshe Dayan drei Tage nach seinem Ende, „entwickelte sich und rollte an Fronten, die nicht beabsichtigt waren und von niemandem, auch nicht von mir, vorher geplant waren“. Auf der Grundlage dieser und anderer Aussagen setzte sich die Ansicht durch, dass die Eroberung der Gebiete im Krieg das Ergebnis eines schnellen Hineinschlitterns war, eine neue Realität, die niemand wollte.

Die historische Dokumentation, die in den letzten Jahren in den israelischen Staatsarchiven und in den Archiven der israelischen Verteidigungskräfte und des Verteidigungsapparats aufbewahrt wurde, verlangt jedoch, dass wir die Glaubwürdigkeit dieser Ansicht in Zweifel ziehen. Die hier zitierten Informationen stellen nur einen kleinen Teil einer breiten Palette von Dokumenten dar, die in staatlichen Archiven über die Eroberung der Gebiete aufbewahrt werden und die nach wie vor geheim sind. Es bedurfte einer langen Hartnäckigkeit, um die Freigabe einiger Dokumente zu erreichen, auf denen dieser Artikel basiert.

Die Dokumente beschreiben detaillierte Vorbereitungen, die im Militär in den Jahren vor 1967 getroffen wurden, mit der Absicht, im Voraus die Kontrolle von Gebieten zu organisieren, die nach Einschätzung des Verteidigungsestablishments - mit hoher Wahrscheinlichkeit - im nächsten Krieg erobert werden würden. Eine Durchsicht der Informationen zeigt, dass die Übernahme und der Erhalt dieser Gebiete - das Westjordanland von Jordanien, die Sinai-Halbinsel und der Gazastreifen von Ägypten und die Golanhöhen von Syrien - kein Nebenprodukt der Kämpfe waren, sondern der Ausdruck eines strategischen Ansatzes und vorheriger Vorbereitungen.

Die akribischen Vorbereitungen der IVK zur Eroberung der Gebiete hatten bereits Anfang der 1960er Jahre begonnen. Sie waren zum Teil das Produkt der kurzen und bitteren israelischen Erfahrung bei der Eroberung - und der anschließenden Evakuierung - der Sinai-Halbinsel und des Gaza-Streifens im Sinai-Krieg von 1956. Vor diesem Hintergrund sollten wir das Dokument mit dem Titel „Vorschlag zur Organisierung der Militärregierung“ verstehen, das der Leiter der Operationen, Oberst Elad Peled, im Juni 1961 schrieb und dem Stabschef Tzvi Tzur vorlegte. Sechs Jahre vor dem Sechs-Tage-Krieg bestand der Vorschlag aus einer detaillierten, anfänglichen Planung für die Kräfte,, die für die Herrschaft in den später besetzten Gebieten benötigt würden.

Zwei Jahre später, im August 1963, verfasste die Generalstabsabteilung der IVK (später die Operationsabteilung), die damals von Yitzhak Rabin geleitet wurde, eine weit verbreitete Direktive bezüglich der Organisierung der Militärregierung in den Gebieten. Diese Anweisung gibt in ihren Worten Aufschluss über Israels „erwartete Ausdehnungsrichtungen“, die nach Einschätzung der Sicherheitsdienste im Mittelpunkt des nächsten Krieges stehen würden. Diese Gebiete umfassten das Westjordanland, den Sinai, die syrischen Höhen und Damaskus sowie den Südlibanon bis zum Litani-Fluss.

Der Befehl vom August 1963 wurde im Anschluss an eine zwei Monate zuvor durchgeführte Evaluierung durch eine Einheit der Militärregierung vorbereitet, die das Leben der Araber innerhalb Israels kontrollierte. In der internen Korrespondenz wurde angedeutet, dass die zukünftige Organisierung der Herrschaft in den Gebieten „schnell“ auszuführen sei, auch wenn sie nicht vollständig allen Bedürfnissen entspricht“.


Der Befehl von 1963. „Es könnte sich jedoch eine günstige politische Situation entwickeln, die es ermöglicht, das besetzte Gebiet auf unbestimmte Zeit zu behalten“

Unter dem Titel „Organization Order - Military Government in State of Emergency“ (Organisationsbefehl - Militärregierung im Ausnahmezustand) hieß es: „Der Vorstoß der IVK, den Krieg in die Gebiete des Feindes zu verlegen, wird notwendigerweise eine Ausdehnung und Eroberung von Gebieten jenseits der Grenzen des Staates mit sich bringen“. Basierend auf den israelischen Erfahrungen in der Zeit nach dem Sinai-Feldzug wurde in dem Dokument festgestellt, dass es notwendig sein würde, schnell eine Militärregierung zu installieren, denn „diese Eroberungen könnten nur für eine kurze Zeit andauern, und wir werden die Gebiete auf internationalen Druck hin oder nach einer Vereinbarung evakuieren müssen“. Der folgende Teil war jedoch für diejenigen gedacht, die mit der Verwaltung der Militärregierung im zukünftigen besetzten Gebiet betraut werden sollten, und er deutet die Absicht der Autoren des Befehls an: „Es könnte sich jedoch eine günstige politische Situation entwickeln, die es ermöglicht, das besetzte Gebiet auf unbestimmte Zeit zu behalten“.

In der Tat erforderte die Ausnutzung dieser „günstigen Situation“ die sorgfältige Organisierung der Modalitäten der militärischen Herrschaft in den besetzten Gebieten. Dementsprechend widmeten die IVK ihre Aufmerksamkeit der Ausbildung und Vorbereitung der Einheiten und Verwaltungsorgane, die über die palästinensische Bevölkerung herrschen sollten. Sie trugen eine weitreichende Verantwortung: von rechtlichen Fragen, die mit der Besetzung der Gebiete einhergingen, bis hin zum Sammeln von Informationen über die Bevölkerung und die Infrastrukturen im Westjordanland.

Während niemand innerhalb des Verteidigungsestablishments die überlegene Macht der IVK und ihre Fähigkeit zur schnellen Eroberung der Gebiete von Ägypten, Jordanien und Syrien bestritt - vor 1967, waren die Offiziere der Militärregierung, die innerhalb Israels existierte, besorgt über die Vorbereitung der Einheiten, die in den Gebieten herrschen würden. Zusammen mit der Militärdoktrin, die forderte, dass die Kämpfe in das feindliche Gebiet verlegt werden sollten, existierte eine Doktrin bezüglich der Herrschaft über die Zivilbevölkerung, die auf der Erkenntnis beruhte, dass Israel nach einer solchen Übernahme eine besetzte Zivilbevölkerung kontrollieren würde, deren Verwaltung die Einrichtung einer Militärregierungsbürokratie erfordern würde.

Oberst Yehoshua Verbin, in seiner Eigenschaft als Kommandeur der Militärregierung innerhalb Israels bis 1966, mit umfangreicher Erfahrung in der Handhabung der Mechanismen zur Überwachung und Kontrolle der Palästinenser, spielte eine zentrale Rolle bei den Vorbereitungen zur Ausführung des Befehls zur Errichtung einer Militärregierung in den eroberten Gebieten. In einem Moment der Offenheit gab er im Dezember 1958 vor einem Ministerialausschuss zu, das zusammengekommen war, um die Zukunft der Militärregierung innerhalb Israels zu diskutieren: „Ich habe noch nicht einmal für mich selbst entschieden, ob wir ihnen mehr Schaden oder Nutzen zufügen“. Als ranghoher kommandierender Offizier warnte er jedoch im Juni 1965 seinen Vorgesetzten Haim Bar-Lev, dass die Kommandostrukturen der Verwaltung für die Herrschaft über die besetzten Gebiete nicht ausreichend qualifiziert seien, um ihre zukünftige Aufgabe zu erfüllen. „Es wurden sehr wenige Fortschritte in diesem Bereich gemacht“. Er fügte hinzu: „Es scheint, dass die Kommandostrukturen der Verwaltung in den besetzten Gebieten nicht geeignet sind, ihre Aufgaben zu erfüllen“. Das war zwei Jahre vor dem Krieg.

Die Einbeziehung von Offizieren der Militärregierung, die den palästinensischen Bürgern Israels seit 1948 auferlegt worden war, in die Planung war logisch, denn der organisatorische und militärische Rahmen, der gegenüber dieser Gemeinschaft funktionierte, bildete die Grundlage für die Herrschaft in den Gebieten, die in einem Krieg erobert werden würden. 1963 hatten die Einheiten der Militärregierung bereits 15 Jahre Erfahrung darin, mittels eines strengen Regimes von Genehmigungen „Ordnung“ und Kontrolle über diese palästinensischen Bürger zu erzwingen. Aus militärischer Sicht war es sinnvoll, dass dieses Gremium als Vorbild für die Herrschaftsstruktur in den Gebieten diente, die im nächsten Krieg erobert werden sollten.

Nach dem Krieg von 1967 lehnte Verteidigungsminister Dayan jedoch den Vorschlag des Chefs des Sicherheitsdienstes Shin Bet, Yosef Harmelin, ab, die Formen der Kontrolle der Militärregierung in Israel in den eroberten Gebieten zu wiederholen (eine Haltung, die jahrelang zitiert wurde, um Dayans vermeintlich aufgeklärte Ansicht zu demonstrieren). Doch auch wenn Dayan generell davon absah, ehemalige Militärgouverneure aus dem Inneren Israels zu Gouverneuren jenseits der Grünen Linie zu ernennen, trug die Normalisierung der „aufgeklärten Besatzung“ einen ähnlichen Charakter wie die Militärregierung, die innerhalb Israels bestanden hatte. Dementsprechend wurde die Besatzung umso gröber und gewalttätiger, je vager die Vorläufigkeit der Besatzung wurde.

Um die direkte Linie zu verdeutlichen, die die Militärregierung, die innerhalb Israels (bis Dezember 1966) existierte, mit derjenigen verband, die in den Gebieten nach dem Juni-Krieg 1967 operierte, genügt es, die Metamorphose zu betrachten, die ihre offiziellen Zweige durchliefen. In den Monaten nach dem Krieg wurde die Einheit, die die Militärregierung in Israel betrieben hatte, in „Abteilung für Militärverwaltung und territoriale Sicherheit“ umbenannt. Heute ist sie unter einem anderen, eingängigeren Namen bekannt: „Koordinator der Regierungsaktivitäten in den Territorien“.

 

Adam Raz (1982) ist ein israelischer Historiker, Forscher am Akevot-Institut für israelisch-palästinensische Konfliktforschung. Autor von "Der Kampf um die Bombe", "Herzl : die Konflikte des Gründers des Zionismus mit Anhängern und Gegnern", "Das Massaker von Kafr Qassim: eine politische Biographie" und "Plünderung arabischen Eigentums im Unabhängigkeitskrieg" (alle auf Hebräisch im Carmel-Verlag erschienen).

Das Akevot(Spuren)-Institut für israelisch-palästinensische Konfliktforschung wurde 2014 aus der Erkenntnis heraus gegründet, dass Archive eine einzigartige Rolle dabei spielen können, konfliktverschärfende Mythen zu brechen, einen faktenbasierten Diskurs zu fördern und die Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen zu unterstützen.  Wir machen Archive zu einem Werkzeug für Veränderungen, indem wir Mechanismen, Prozesse und Ereignisse, die eine Rolle bei der Aufrechterhaltung des Konflikts spielen, erforschen und aufdecken. Wir unterstützen MenschenrechtsverteidigerInnen und zivilgesellschaftliche Organisationen beim Zugang zu den für ihre Arbeit relevanten Archivalien. Wir setzen uns dafür ein, den Zugang der Öffentlichkeit zu staatlichen Archiven zu erweitern, um Transparenz und Informationsfreiheit zu fördern.

 

 

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