Nachstehend zwei Artikel aus der israelischen Tageszeitung Haaretz über die Entscheidung von Bundeskanzler Merz, Lieferungen von Waffen nach Israel zu stoppen, die in Gaza eingesetzt werden könnten. Von Tlaxcala übersetzt
Wie Berlins Waffenembargo wegen Gaza israelische Firmen in Deutschland daran hindern kann, Waffen an Israel zu verkaufen
Oded Yaron, Haaretz, 9.8.2025
Seit Jahrzehnten ist Deutschland nach den USA der zweitgrößte Lieferant von Rüstungsgütern an Israel. Sollte Israel erneut in eine Notlage geraten, in der es Waffen benötigt, könnte es mit leeren Händen dastehen. Die Formulierung des Bundeskanzlers zum Verbot von Waffen für den Einsatz in Gaza könnte Berlin jedoch einen gewissen Spielraum lassen.
Die Entscheidung Deutschlands vom Freitag, Waffenexporte
nach Israel zu beschränken, könnte erhebliche Auswirkungen auf mehrere der
wichtigsten Waffensysteme des israelischen Militärs haben und Israel und seine
Lieferanten dazu zwingen, Ausweichlösungen für die Produktion in Deutschland zu
finden.
Der Schritt könnte auch dazu führen, dass in Deutschland tätige israelische Rüstungsunternehmen,
darunter auch staatliche Unternehmen, keine Waffen mehr an Israel verkaufen
dürfen.
In den letzten Jahrzehnten war Deutschland nach den
Vereinigten Staaten der zweitgrößte Lieferant von Rüstungsgütern an Israel, was
vor allem auf große Aufträge von ThyssenKrupp für U-Boote und Raketenabwehrschiffe zum Schutz der
israelischen Offshore-Gasplattformen zurückzuführen ist.
Laut einer offiziellen Antwort des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Energie auf eine Anfrage des Bundestages hat Berlin seit
Kriegsbeginn bis zum 13. Mai 2025 Rüstungsexporte nach Israel im Wert von
insgesamt 481 Millionen Euro genehmigt.
Die Bundesregierung lehnte es ab, konkrete Angaben zu den
gelieferten Waffen und Ausrüstungsgütern zu machen, und nannte stattdessen
allgemeine Kategorien wie Kleinwaffen, Bomben, Raketen, Munition und eine
Vielzahl von Systemen.
Die Erklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz, dass
Deutschland keine Ausfuhr von militärischer Ausrüstung genehmigen werde, die in
den Kämpfen im Gazastreifen eingesetzt werden könnte, lässt Berlin einen
gewissen Handlungsspielraum. So dürfte die Entscheidung beispielsweise keine
Auswirkungen auf U-Boot- oder Schiffsausfuhren haben, obwohl deutsche
Abgeordnete in verschiedenen parlamentarischen Anfragen auf Berichte
hingewiesen haben, wonach Überwasserschiffe an der Gaza-Offensive beteiligt
waren.
Israel ist jedoch auch in anderen Bereichen von
Deutschland abhängig, in denen es schwer zu argumentieren wäre, dass die
Systeme nichts mit den Kämpfen im Gazastreifen zu tun haben. So stellt
beispielsweise das deutsche Unternehmen MTU, eine Tochtergesellschaft des
britischen Rolls-Royce-Konzerns, die Motoren für den Merkava-Panzer, den
gepanzerten Mannschaftstransporter Namer und das neue gepanzerte Kampffahrzeug
Eitan her.
Dies sind kritische Komponenten für die Einsatzfähigkeit
der Panzer- und Infanterieeinheiten der israelischen Streitkräfte. MTU betreibt
auch Werke in Großbritannien und den USA, aber diese Anlagen werden nur für die
Endmontage und Erprobung von Motoren genutzt, sodass Deutschland ein wichtiges
Glied in der Lieferkette bleibt.
Die globale Ausrichtung der Lieferkette könnte Israel
bereits eine Lösung für die deutschen Sanktionen bieten. Denn Israel bezieht
die Motoren für den Namer und den Eitan von einem US-amerikanischen
Unternehmen, Rolls-Royce Solutions America Inc., einer in den USA registrierten
Tochtergesellschaft der Rolls-Royce Group, sodass die Transaktion über die USA
abgewickelt wird.
Die Entscheidung hat keine Auswirkungen auf bestehende
israelische Exportverträge mit Deutschland. Erst letzten Monat gab Elbit einen
Vertrag über die Lieferung von infrarotgesteuerten Raketenabwehrsystemen für
die deutschen A400M-Transportflugzeuge bekannt. Sollte die israelische
Regierung jedoch ihren derzeitigen Kurs in Gaza beibehalten, könnte auch
Deutschland bei künftigen Beschaffungen auf alternative Lieferanten
zurückgreifen. Darüber hinaus könnte jede Entscheidung Deutschlands einen
Dominoeffekt in anderen europäischen Staaten auslösen.
Eine Bedrohung für die Exporte israelischer Unternehmen
nach Israel
Die internationale Zusammenarbeit zwischen israelischen
Rüstungsunternehmen im Ausland und Deutschland hat sich in den ersten Monaten
des Krieges als unverzichtbar erwiesen. Deutschland ist für Israel ein
wichtiger Verbündeter bei der Entwicklung, Produktion und Vermarktung moderner
Waffen, von denen ein Teil für Israel selbst bestimmt ist.
Israel Aerospace Industries, Rafael und Elbit besitzen
alle Tochtergesellschaften in Deutschland und arbeiten mit lokalen Firmen in
verschiedenen Bereichen zusammen. Das bedeutet, dass Israel, sollte es erneut
in eine Notsituation geraten und dringend Lieferungen aus Deutschland
benötigen, wie dies in der Vergangenheit bereits der Fall war, möglicherweise
mit leeren Händen dastehen würde.
Eine der bedeutendsten deutschen Waffenlieferungen an
Israel seit Beginn des Krieges im Gazastreifen war die Lieferung von 3.000 Panzerabwehrraketenwerfern im Jahr 2023. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um
„Matador”-Raketenwerfer (RGW-90 oder die leichteren RGW-60), die in der Zahal
als „Mapatz” bekannt sind und zur Zerstörung von gepanzerten Fahrzeugen,
Bunkern und Militanten in Gebäuden dienen.
Die Abschussgeräte werden von der deutschen Firma Dynamit
Nobel Defence (DND) hergestellt, die vor 20 Jahren von Rafael, dem staatlichen israelischen Rüstungsunternehmen, übernommen wurde. Der Matador wurde von der IDF in den
Jahren der Kämpfe im Gazastreifen und im Libanon häufig eingesetzt.
Rafael hat auch die „Spike”-Familie von
Lenkwaffensystemen entwickelt. Um diese in Europa zu vermarkten, gründete das
Unternehmen Eurospike – ein Joint Venture mit zwei großen deutschen Firmen:
Rheinmetall (40 Prozent Anteil) und Diehl Defence (ebenfalls 40 Prozent). Die
restlichen 20 Prozent hält Ercas B.V., eine in den Niederlanden registrierte
und vom Vereinigten Königreich aus tätige Holdinggesellschaft von Rafael.
Laut deutschen Unternehmensregistern ist Eurospike für
die Vermarktung und den Vertrieb von Spike-Systemen, insbesondere für
europäische Kunden, zuständig und erbringt darüber hinaus Dienstleistungen wie
Projektmanagement und grundlegende Systemtechnik. Spike-Raketen werden
teilweise in Israel und teilweise in Produktionsstätten der deutschen
Partnerunternehmen hergestellt.
Deutschlands Waffenembargo gegen Israel ist kein Verrat,
sondern eine moralische Abrechnung
Gideon Levy, Haaretz, 9.8.2025
Die Bewaffnung Israels, damit es seinen Plan zur
Eroberung des Gazastreifens und zur Durchführung ethnischer Säuberungen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem Gebiet umsetzen kann, ist eine
der antisemitischsten und antiisraelischsten Maßnahmen, die man sich vorstellen
kann. In dieser Hinsicht ist die Entscheidung der deutschen Regierung, die
Waffenlieferungen an Israel einzustellen, ein mutiges Bekenntnis zu moralischen
Werten und auch zu echter Freundschaft gegenüber Israel.
Deutschland hat angekündigt, die Ausfuhr von
militärischer Ausrüstung, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnte, nach
Israel einzustellen. Das
Deutschland nach dem Holocaust musste diese Entscheidung treffen: hätte es
weiterhin Waffen an ein Land geliefert, das Völkermord begeht, hätte dies
bewiesen, dass es nichts aus seiner Vergangenheit gelernt hat.
So wie es seit Jahren klar ist, dass Deutschland sich
nicht gegen Israel aussprechen kann und dass das Land, das den Holocaust
begangen hat, verpflichtet ist, die Sicherheit des aus seiner Asche
entstandenen Staates zu gewährleisten, so klar ist auch, dass Deutschland jeden
Völkermord bekämpfen und schon gar nicht unterstützen darf, selbst wenn der
Täter sein geliebtes Israel ist.
Mit der Verhängung eines teilweisen Waffenembargos gegen
Israel hat Deutschland bewiesen, dass es an der Spitze Europas steht und den
Holocaust und seine Lehren nicht vergisst. Ein Deutschland, das Israel
weiterhin mit Waffen beliefert hätte, wäre wie alle derzeitigen
Waffenlieferanten Israels zu seinem Komplizen beim Völkermord geworden.
Und das darf Deutschland mehr als jedes andere Land der Welt nicht tun.
Alle, die Israel bei der Begehung von Völkermord
unterstützen, erklären damit, dass sie den Staat nicht weniger hassen als
diejenigen, die über seine Taten empört sind. Israel jetzt zu bewaffnen, zeugt
weder von Freundschaft gegenüber dem Staat noch von Sorge um sein Schicksal.
Die Lieferung von Waffen an den Angreifer in einem illegitimen Krieg, der
längst beendet sein sollte und dessen Ziele inzwischen sinnlos und
verbrecherisch sind, bedeutet Mittäterschaft an einem Verbrechen.
Deutschland hat das alte Paradigma auf den Kopf gestellt:
dem heutigen Israel darf keine Hilfe gewährt werden, schon gar nicht Waffen.
Jedes Flugzeug und jede Granate, jedes Raketenschiff und jede Kanone werden nur
noch mehr unschuldige Menschen töten. In dem Moment, in dem der Angriff auf
Gaza aufgehört hat, ein Akt der Selbstverteidigung zu sein, ist er unerträglich
geworden.
Angesichts der unglaublichen Unterstützung durch die
Vereinigten Staaten und der erstaunlichen Ohnmacht der Opposition in Israel
gibt es niemanden, der den Krieg stoppen kann. Europa kann dazu beitragen, ihn
zu beenden, wenn auch nicht sofort.
Aber über den Wunsch hinaus, den Krieg zu beenden, ist
die Lieferung von Waffen an Israel ein Akt der Feindseligkeit gegenüber diesem
Land. Wenn nur die US-Amerikaner das verstehen würden. Deutschland hat die
Macht, den Kurs zu bestimmen: die Sorge um das Schicksal Israels schließt nicht
ein, es zu bewaffnen, um seine wahnsinnigen Pläne in Gaza durchzusetzen.
Anstatt alle Demonstranten gegen Israel und gegen den
Krieg weiterhin als Antisemiten zu betrachten, als zynische und wirksame
Manipulation durch jüdische und israelische Propaganda, sollten wir vielmehr
diejenigen als Antisemiten betrachten, die Israel bewaffnen.
Natürlich gibt es auch Manifestationen von Antisemitismus in
Kreisen, die Israel ablehnen, aber sie sind nicht das Wesentliche. Die meisten
Demonstranten sind Menschen mit Gewissen, die mit Dingen konfrontiert wurden,
mit denen Israelis nicht konfrontiert wurden, und sie können nicht schweigen.
Was kann man von Weltbürgern erwarten, die Bilder von Hunger und Tod sehen?
Werden sie den Tätern zujubeln oder sich gegen sie erheben und sie sogar
hassen?
Die Wertschätzung und Sympathie für Israel werden in
naher Zukunft nicht zurückkehren. Die Welt wird Gaza so schnell nicht
vergessen. Die Tatsache, dass Israel seine Handlungen leugnet und nicht einmal
die geringste Verantwortung übernimmt, wird die Welt nur weiter von ihm
entfernen.
Die Israelis in Europa können weiterhin die Opferkarte
spielen, wenn sie aus Restaurants geworfen werden, aber so verhalten sich
Menschen mit Gewissen, denen etwas wichtig ist. Sie sind keine Antisemiten. Sie
sind sicherlich besser als diejenigen, die Israel dazu drängen, weiterhin
Hunderte von Babys aus der Luft, zu Lande und zu Wasser zu töten und es mit
Waffen auszustatten, die für die Abschlachtung dieser Babys geeignet sind.