François Vadrot, 14.9.2025
Eine beispiellose Ernennung unter der Fünften Republik
Seit der Gründung der Fünften Republik im Jahr 1958 ist noch kein amtierender Verteidigungsminister direkt zum Premierminister aufgestiegen. Pierre Messmer, Verteidigungsminister von 1959 bis 1969, wurde erst 1972 Premierminister – nach drei Jahren Rückzug. Das war keine direkte Kontinuität, sondern ein Comeback.
Das einzige wirkliche Beispiel stammt aus der Vierten Republik: Maurice Bourgès-Maunoury wurde 1957 Regierungschef, mitten im Algerienkrieg. Im Gefolge der Suez-Krise gab er zudem grünes Licht für den Technologietransfer, der Israels Atomprogramm in Dimona ermöglichte.
👉 In Friedenszeiten ist Lecornus Ernennung daher ein historisches Novum in der Fünften Republik.
Das Gesetz von 2023 als juristisches Scharnier
Das Militärprogrammgesetz 2024–2030 (verabschiedet 2023) hat die Exekutive mit erweiterten Befugnissen ausgestattet: Im Fall einer „aktuellen oder vorhersehbaren Bedrohung“ kann der Staat Personen, Güter und Dienstleistungen requirieren – mit Strafen für Verweigerer. Keine Generalmobilmachung, aber ein juristischer Werkzeugkasten, jederzeit einsatzbereit.
Die amerikanische Parallele
In den USA hat Trump den Titel Secretary of War wiederbelebt, der 1947 zugunsten des beschönigenden Secretary of Defense aufgegeben wurde. Keine bürokratische Kleinigkeit, sondern ein politisches Signal: den Krieg beim Namen nennen. In Frankreich hebt Macron einen Verteidigungsminister direkt ins Matignon – ein Novum der Fünften Republik. Zwei Gesten, ein Klima: Der Westen rüstet sich offen zur Konfrontation.
Regieren per Dekret
Mit Lecornu hat Macron keinen Grund, eine Vertrauensabstimmung zu riskieren, die er verlieren könnte. Die Verfassung der Fünften Republik erlaubt es, einen Premierminister zu halten, solange keine Misstrauensabstimmung Erfolg hat. Matignon wird so zum Kommandoturm, der per Dekret und 49.3 regiert und die Nationalversammlung an den Rand drängt.
Projektion ohne Grenzübertritt
Frankreich kann seine Präsenz in Osteuropa – Rumänien, Polen, Baltikum – verstärken, ohne die Ukraine zu betreten. Vorausstationierung lautet die Strategie: sichtbare Truppen, gelagertes Material, Logistik, Übungen. Das ermöglicht Macron:
Internationale Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
Die Innenpolitik unter dem Banner der nationalen Sicherheit neu zu rahmen.
Das Militär auf eine Eskalation vorzubereiten.
Macrons Kalkül
Kein Wahlsieg, keine Reform zu retten – aber Überlebensrationalität:
Das innenpolitische Scheitern überdecken durch martialische Rhetorik.
Politische Bedeutungslosigkeit abwenden, indem er „Kriegspräsident“ wird.
Den Staatsapparat festigen durch Militarisierung und Ausnahmebefugnisse.
Zentrale Stellung im Westen beanspruchen, während die USA mit Spaltungen, Karibik und Israel beschäftigt sind.
Das Paradox
Die USA werden keine europäische Front eröffnen. Zu polarisiert, zu absorbiert von anderen Prioritäten. Sie überlassen es den Europäern, die Linie zu halten – während sie aus der Ferne dirigieren. Macrons Wette: Frankreich zur Fahne einer Front zu machen, die Washington selbst nicht tragen wird.
👉 Kurz: Lecornu in Matignon ist kein Notbehelf, sondern ein Signal. Macron kann das zivile Frankreich nicht mehr regieren – also bereitet er das militärische Frankreich vor. Nach „En Marche“ und „Renaissance“ bleibt nur ein Wort: die „Fahne“.