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01/02/2022

EVA MENASSE
Die Antisemitismus-Debatte in Deutschland ist eine fehlgeleitete, hysterische Pein


Warum endlich Schluss sein muss mit einer Symbolpolitik, die vom Kampf gegen Hass und reale Straftaten ablenkt

Ein Gastbeitrag von Eva Menasse , Die Zeit Nr. 5/2022, 27/1/2022

Die Schriftstellerin Eva Menasse © Andreas Arnold/dpa

Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen. Für ihren aktuellen Roman "Dunkelblum" erhielt sie 2021 den Bruno-Kreisky-Preis. Sie lebt in Berlin.

Die deutsche Antisemitismus-Debatte ist voller Aufgeregter, die einander in Symbolpolitik überbieten. Alle anderen – die durchaus dafür sensibilisierte Öffentlichkeit ebenso wie ganz normale Juden, die keine Funktionsträger oder Meinungsführer sind – haben sich längst frustriert abgewandt. Vielleicht hat den einen oder anderen selbst schon die Antisemitismus-Keule getroffen, das kann auch Juden passieren. Die Symbolpolitiker sind, während sie durch die Arena fegen, nicht sehr behutsam.

Gibt es (kruden, brutalen, lebensgefährlichen) Antisemitismus? Ja, und nicht zu knapp. Er ist, wie aller Hass, dank der asozialen Medien exponentiell gewachsen. Wären wir nicht so zugedröhnt von datenklauenden Gratis-Apps, müssten wir uns fragen, warum wir einen Ausbruch von physischer und psychischer Gewalt hinnehmen, wie er seit dem Schwarzpulver nicht von einer Erfindung allein verursacht worden ist. Neben Digitalkartellen profitieren vor allem Personenschützer: Von Lokalpolitikern über Universitätsprofessoren bis zu Kabarettisten und Virologen wächst rasant die Gruppe von Menschen, die sich von Gunmen begleiten lassen und ihre Adressen geheim halten müssen. 


 

Aber nicht nur der vervielfältigte Hass (der direkt zu Verbrechen wie in Kassel, Hanau, Halle führt) explodiert uns unter der Hand, sondern auch ein völlig irregegangener Moralismus aus ähnlich trüb-digitalen Quellen. Kleine Gruppen von rigorosen Einpeitschern haben den Diskurs in weiten Teilen unter ihre Kontrolle gebracht und ihr Publikum infiziert, das nun selbst im Namen von hehren Begriffen wie "Gleichberechtigung", "Diversität" oder eben "Kampf gegen Antisemitismus" ein maßloses, unversöhnliches und bedrohliches Verhalten an den Tag legt. Zu ihnen gehört das "Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus", das den angeblichen Documenta-Skandal um vermeintlich antisemitische Haltungen unter zur Documenta eingeladenen Künstlern losgetreten hat. Dessen "Recherchen" wurden von Qualitätsmedien wie der ZEIT übernommen und breit diskutiert (ZEIT Nr. 3/22). Da es gegen Antisemiten geht, wird’s schon ungefähr stimmen, oder?