Milena Rampoldi und Fausto Giudice, 3. August 2025
ProMosaik Poetry hat in Zusammenarbeit mit der Glokalen Werkstatt die zweisprachige Sammlung (in französischer und deutscher Sprache) des algerischen Dichters Kadda Benkhira mit dem Titel “Humeurs/Stimmungen” veröffentlicht. In diesem Gespräch beantwortet der Dichter unsere Fragen.
Wie bist du Dichter geworden?
Ich glaube, dass meine
Vorliebe für Poesie in der Grundschule begann. Um uns mit der französischen
Sprache vertraut zu machen, gab uns der Lehrer oft ein Gedicht, das wir
auswendig lernen und am nächsten Tag im Unterricht vortragen sollten. Aber es ging
nicht nur um das Vortragen von Poesie. Ich hatte mich auch daran gewöhnt, jedes
Wochenende einen großen Souk zu besuchen, wo nicht nur Lebensmittel zum Verkauf
angeboten wurden, sondern auch Flötenspieler, die Schlangen zum Tanzen
brachten, und Sänger da waren. Was mich an diesem sehr lebendigen Ort
interessierte, waren vor allem diese Leute, die eine ganze besondere Fähigkeit
besaßen, Geschichten über verschiedene Themen zu erzählen und sie sehr
attraktiv zu gestalten. Sie besaßen auch die Kunst, Gedichte in einer sehr
klaren Sprache für das Volk vorzutragen.. Später begann ich, klassische
arabische Poesie zu hören und auf Französisch alle Gedichtbände zu lesen, die
ich in die Finger bekam... So wurde ich Dichter.
Schränkt die Tatsache,
dass du in französischer Sprache schreibst - laut Kateb Yacine gilt diese ja
als „Kriegsbeute“ - nicht die Reichweite deiner Gedichte in Algerien ein?
Ja, das stimmt. Die
Reichweite meiner Gedichte in Algerien ist aufgrund dessen eingeschränkt. Aber
ich möchte hinzufügen, dass „diese Kriegsbeute“, unabhängig von ihrer
Bedeutung, irgendwann verschwinden wird. Denn es vergeht kein Tag, an dem die
Sprache meiner Vorfahren nicht Schritt für Schritt das Land zurückerobert,
dessen sie beraubt wurde. In aller Ruhe wird die Sprache unserer Vorfahren
ihren ganz natürlichen Stellenwert auf der Welt wieder einnehmen. Und was gibt
es Schöneres, Edleres und Natürlicheres für ein Volk, als seine Sprache
wiederzufinden!...
In der algerischen Verfassung
ist die arabische Sprache seit der Unabhängigkeit der Landes als National- und
Amtssprache verankert. Französisch gilt als Fremdsprache.
Man darf ja nicht außer Acht
lassen, dass die Barbarei des französischen Kolonialismus in Algerien 132 Jahre
dauerte. Wir können diese Sprache nicht aus unserer Heimat verbannen, wie wir
beispielsweise einen alten Nagel aus einem Brett entfernen. Denn dafür braucht es
Zeit und viel Geduld...
Heute bevorzugen die meisten
jungen Algerierinnen und Algerier bei weitem Englisch gegenüber Französisch.
Übrigens hat die Regierung im
nächsten Schuljahr beschlossen, ab der Grundschule mit dem Englischunterricht
zu beginnen... „Wenn Französisch, sagte der Präsident, Kriegsbeute ist, ist
Englisch eine internationale Sprache.“ Das ist absolut klar...
Ich habe auch bemerkt, dass
junge Menschen anfangen, sich ernsthaft für andere Sprachen wie Spanisch,
Italienisch und Türkisch zu interessieren...
Persönlich werde ich auch in
Zukunft in französischer Sprache schreiben, da sie für mich (wie alle anderen
Sprachen) ein Kommunikationsmittel ist. Und ich bin sicher, dass meine Gedichte
ins Arabische übersetzt werden. So werde ich die LeserInnen wiederfinden, die
mir durch die „Kriegsbeute“ abhandengekommen sind ...
Aber auch ein Schriftsteller
(oder ein Dichter), dessen Land nie kolonisiert wurde, kann seine Sprache nur
in seinem Land bekannt machen. Wenn er seine Grenzen überschreiten will, wenn
er berühmt werden will, muss er sich unbedingt an diese sehr ehrenwerte Dame
wenden, und zwar an die ÜBERSETZUNG...
Gibt es heute in
Algerien eine „poetische Szene“ und Austausch und Begegnungen zwischen Dichtern
und rund um die Poesie?
Ja! Der Poesie werden immer
mehr Bereiche gewidmet. Und ich muss sagen, dass die arabische Poesie den
Löwenanteil hat. Das finde ich absolut normal. In allen Ländern der Welt ist es
die Sprache des Volkes, die am meisten gefragt ist...
132 Jahre barbarischer
Kolonialismus haben es nicht geschafft, diese Sprache auszurotten.
Wahrscheinlich, weil sie ihre Kraft aus dem Koran bezieht...
Ja! Die Poesie in arabischer
Sprache bleibt das Genre der Mehrheit der algerischen Schriftsteller. Dies
bezeugen zahlreiche Veröffentlichungen (Gedichtbände, Zeitungen und
Zeitschriften...).
Dies wird auch von den
Experten bestätigt.
Welchen allgemeinen Stellenwert
nimmt die Poesie im zeitgenössischen Algerien ein?
Sie hat einen sehr
ehrenwerten Stellenwert. Ich meine damit die gesamte Poesie in arabischer,
berberischer und französischer Sprache ...
Welche Rolle kann und
soll der Dichter in der Gesellschaft spielen?
Die Rolle des Dichters muss
weltweit von Großmut und Menschlichkeit gekennzeichnet sein. Die Poesie muss
auch immer bereit sein, schnell alles anzuprangern, was auf dieser Welt nicht
rund läuft! Sie muss an allem Kritik ausüben, was der Menschheit schadet! Und
nicht nur! Sie muss auch die Tier- und Pflanzenwelt verteidigen! ...
Es ist bedauerlich, dass
nicht alle Dichter Großmut und Menschlichkeit besitzen.
Einige haben ihre Zungen so
sehr für raue und ungesunde Dinge abgenutzt, dass sie sie nicht mehr im Mund
halten können.
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