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06/02/2022

MILENA RAMPOLDI
„Das ist bei uns nicht möglich“: ein mehr denn je aktuelles Buch
Rudolph Bauer im Gespräch über den Roman von Sinclair Lewis

Milena Rampoldi, ProMosaik, 6.2.2022

Der US-amerikanische Schriftsteller Sinclair Lewis wurde am 7. Februar 1885  geboren und starb 1951. 1930 wurde ihm als erstem US-Amerikaner der Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Lewis wusste vieles über den Aufstieg der Nazis durch seine zweite Frau, Dorothy Thompson. Sie war Auslandskorrespondentin in Berlin und hatte Hitler sogar persönlich interviewt. Sein Roman von 1935 It Can't Happen Here (dt. „Das ist bei uns nicht möglich“) über die Wahl eines autoritären Präsidenten war eine Reaktion auf den Aufstieg Hitlers und zugleich eine Wahlkampfhilfe für Franklin D. Roosevelt in der politischen Auseinandersetzung mit dem Radikalen Huey Long, einem „ungebildete(n) Lügner mit idiotischer Weltanschauung“, der sich aggressiv mit Minderheiten anlegte und im Buch Berzelius „Buzz“ Windrip genannt wird. Der Roman war in den USA sehr erfolgreich und hatte eine starke politische Wirkung. Nach der Amtseinführung Präsident Trumps wurde er 2017 vom Aufbau Verlag in der alten Übersetzung des Kleistpreisträgers Hans Meisel neu herausgegeben. Anlässlich des 137. Geburtstages des Schriftstellers haben wir uns mit dem Künstler, Dichter, Sozialwissenschaftler und Friedensaktivisten  Rudolph Bauer über die Aktualität dieses Buches unterhalten.


 Warum ist Sinclair Lewis‘ „It can’t happen here“ gerade heute so aktuell?

Die Aktualität des 1935 in den USA veröffentlichten Romans „Das ist bei uns nicht möglich“ von Sinclair Lewis ergibt sich fürs erste bereits aus dem Titel. Die Überzeugung, „it can’t happen here“, entspricht der Überzeugung vieler Menschen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, dass Vorkommnisse in einem Land nicht auch in einem anderen sich ereignen werden. Völlig ausgeschlossen und undenkbar sei die Wiederkehr eines totalitären Systems faschistischer Prägung, wie es von 1933 an in Deutschland und ab 1939 in den von Deutschland überfallenen Ländern bis zur Kapitulation bei Kriegsende 1945 herrschte. Ein Großteil der Bevölkerung bezweifelt bislang nicht, dass die wegen des Corona-Virus getroffenen Notstandsmaßnahmen allein dem gesundheitlichen Wohl der Menschen dienen. Ein zweiter Grund für die Aktualität des Romans ist die fiktive Figur des Doremus Jessup, des 60-jährigen Herausgebers der Provinzzeitung „Daily Informer“.  Jessup verkörpert jenen Teil des intellektuellen Milieus, das sich für aufgeklärt und politisch unabhängig hält. Bezüglich dieser Haltung ähneln ihm die Journalistinnen und Journalisten, Redakteurinnen und Redakteure, Kommentatorinnen und Kommentatoren unseres heutigen Medienbetriebs. Sie nahmen und nehmen in Sachen Pandemie und staatliche Maßnahmen keine objektive oder kritische Position ein, sondern betätigen sich als Propagandisten der amtlichen Politik. Ihnen gleichen, um einen dritten Gegenwartsbezug zu benennen, auch die meisten der vermeintlich Linken, wie wir sie in Parteien und Organisationen wie Attac oder in den Gewerkschaften vorfinden. Selbst wo diese Pseudo- und Quasi-Linken der Regierungspolitik skeptisch gegenüberstehen, fordern sie nicht die Rückkehr zur Demokratie, sondern schärfere staatliche Maßnahmen, ein brutaleres Vorgehen der Polizei, Berufsverbote, Maskenzwang und eine Impfpflicht, die alle wissenschaftlichen Einwände und Bedenken gegenüber gentherapeutischen Experimenten vom Tisch wischt. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es faschistische Vorzeichen und Parallelen gibt.

Was bedeutet für Sie Faschismus? Wie lässt sich das faschistische Paradigma beschreiben? Woran erkennt man den Faschismus?

In seinen Ursprüngen war der Faschismus eine soziale Bewegung. Diese kam zustande als Reaktion der sozialen Klassen, die ihre Zukunft aufgrund der fundamentalen Krisen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Art als bedroht erlebten. Die Bedrohung betraf die Arbeiterklasse, die Mittelschicht der Handwerker und Angestellten sowie die Beamten, aber auch die Unternehmer. Die faschistische Bewegung umfasste zunächst ein breites Spektrum ideologischer, vor allem völkisch-nationaler, reaktionär-antidemokratischer Ansätze sowie Zielsetzungen expansiv-machtpolitischer Art. Später wurde der Begriff des Faschismus in einem erweiterten Sinne in der Weise verwendet, dass er die Gesamtheit der aus dieser Bewegung hervorgegangenen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilsysteme und Institutionen umfasste. Vergleicht man die historischen Erscheinungsformen des Faschismus mit seinem Wiederaufleben in der Gegenwart, finden wir neben einer Reihe von Gemeinsamkeiten auch graduelle Unterschiede. Gemeinsam ist der Herrschaftsform des Faschismus damals wie heute außer den krisenhaften Wurzeln: erstens ein totalitäres politisches System, welches demokratische Grundrechte beseitigt und jede Opposition unterdrückt; zweitens eine aggressive Gemeinschaftsideologie, die den Grundstock für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bildet und sich sowohl im Inneren wie auch nach außen auf Feindbilder stützt und stürzt; drittens die Wirtschaftsordnung des Korporatismus. Im Korporatismus fördert  einerseits der Staatsapparat die Interessen des Kapitals. Andererseits stützt sich der Herrschaftsapparat auf die Förderung, das Wohlwollen und die Gönnerschaft seitens des Großkapitals. Wir können paradigmatisch also drei Elemente des Faschismus unterscheiden und folgende Kriterien benennen, die eine Antwort auf die politischen, gesellschaftlichen und Wirtschaftskrisen darstellen: (a.) das totalitäre politische Regime, (b.) die im eigentlichen Sinn faschistische Gemeinschaftsideologie und (c.) den wirtschaftspolitischen Korporatismus.

Wo lassen sich bei der Aufzählung der Elemente des Faschismus diese im  Gesundheitssystem und bei der Medizin verorten? Lässt sich heute eine ähnliche Funktion im Verhältnis von Medizin und Faschismus beobachten wie damals? Ich denke etwa an die besondere Rolle des Virus, der Virologie und der Medizin, aber auch des Gesundheitswesens und der Pharmaindustrie.

Die Parallelen zwischen damals und heute sind frappierend. Das NS-System benutzte biologische und biopolitische Kategorien zur Differenzierung zwischen den „lebenswerten arischen Volksgenossen“ und den „lebensunwerten Volksschädlingen“. Auch heute schwingen diese Unterscheidungen mit, wenn auf der einen Seite von der „Solidarität mit den Schwachen und Kranken“ die Rede ist, auf der anderen aber vom „gemeinschaftsschädlichen“ Verhalten der „Masken-“ und „Impfverweigerer“, die als „verantwortungslos“ und „egoistisch“ beschimpft und ausgegrenzt werden. Im NS-Faschismus dienten Ärzte als Selektionsbeauftragte in bevölkerungspolitischer und eugenischer Hinsicht. Sie teilten die Menschen ein in Kategorien wie „arbeitsfähig“ und „arbeitsunfähig“, „kriegsverwendungsfähig“ und „nicht kriegsverwendungsfähig“, „gebärfähig“ und „nicht gebärfähig“. Sie erforschten in Kooperation mit dem in Deutschland auch heute wieder aktiven Robert-Koch-Institut und mit den Laboren der Pharmaindustrie die Gefährdung durch Viren und Bakterien bzw. die Wirkung von Arzneimitteln und Impfstoffen.  Sie führten tödliche Menschenversuche durch. Wie auch heute waren die Ärzte und ihre Standesorganisationen hoch angesehen als Stützen des totalitären politischen Regimes. Wie damals stützen sich die Regierenden auf die Befunde und Berechnungen von Virologen, Epidemiologen und Medizinern, wobei gegenteilige Befunde massiv unterdrückt werden. Vergleichbar mit der faschistischen Volksgemeinschaftsideologie damals, dient das repressive Hygiene-Regime auf der Basis von medial erzeugter Angst und Panik sowie mit Hilfe der Masken- und Abstandssymbolik der Herstellung einer Ideologie des „Wir“. Schließlich wiederholt sich auch heute das Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft, wenn Milliardensummen zur Erstattung fehlender Einkünfte – etwa bei der deutschen Lufthansa – und zur öffentlichen Förderung von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen ausgegeben, ja verschwendet werden.