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Sergio Rodríguez Gelfenstein
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04/12/2021

MILENA RAMPOLDI
„Gegen die Schockstarre der Menschen hilft nur Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung“
Rudolph Bauer im Gespräch über sein Buch „Maskierter Totalitarismus“

 Milena Rampoldi, ProMosaik, 3/2/2021

 „Julian Assange war nicht der letzte Widerständler und Aufklärer“

Milena Rampoldi: Herr Professor Bauer, Ihre jüngste Schrift mit dem Buchtitel „Maskierter Totalitarismus. Biopolitik, Big Pharma, High Tech und Big Money“ ist eine sehr harte Kritik am System. Es geht in der Schrift um die Analyse der Pandemie und die wissenschaftliche Kritik an den Corona-Maßnahmen. Meine Frage an Sie: Wofür stehen Ihrer Meinung nach die Corona-Masken, und was besagt der Titel „Maskierter Totalitarismus“?

Rudolph Bauer: Der Titel wirft ein Schlaglicht auf die aktuelle Lage. Corona ist – im übertragenen Sinn – die Maske, hinter der sich die Fratze des Totalitarismus verbirgt. Zugleich sind jene Masken, die zur Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden müssen, ein symbolisches Zeichen von Unfreiheit und Unterwerfung. Es ist schon sehr merkwürdig, dass die Verschleierung muslimischer Frauen westlich arrogant als Zeichen von Unfreiheit und Unterdrückung angeprangert, verurteilt und in bestimmten Ländern sogar bestraft wird. Wegen eines Virus aber und wegen der staatlich verschuldeten Engpässe im Gesundheitswesen wird Vermummung zum staatlich verordneten Zwang. Keine Maske zu tragen, wird bestraft. Selbst Kinder müssen befehlsmäßig durch Masken atmen und zueinander auf Distanz gehen. Angeblich aus Schutzgründen. Dubios!

Ihr Buch ist kritisch, aber nicht pessimistisch. Warum?

Im Buch kritisiere ich die ausschließliche Fixierung auf das Virus. Ich argumentiere, dass sich hinter der aufgebauschten Pandemie-Kulisse etwas ganz Anderes und Dramatisches abspielt: nämlich ein gewaltiger Krisen-Hub sozialer, politischer und wirtschaftlicher Art. Erstes Anzeichen der Verwerfungen war die Bankenkrise von 2008. Schleichend, aber erkennbar für den kritischen Betrachter zeichnet sich das Ende der bisherigen, als neoliberal bezeichneten Produktionsweise ab. Diese ist immer weniger in der Lage, die gewohnten Profitraten zu garantieren.

Die Profitraten stagnieren oder fallen. Deshalb wird von den Wortführern des Kapitals darauf gedrängt, einer – wie sie es verharmlosend nennen – Vierten industriellen Revolution zum Durchbruch zu verhelfen. Die Vierte industrielle Revolution soll die kapitalistische Produktionsweise auf eine neue Stufe heben. Diese beginnt sich abzuzeichnen als digital- und biotechnokratisches Regime im Verbund mit finanzwirtschaftlichen Superstrukturen, einer transhumanistischen Ideologie der Optimierung des Einzelmenschen und der gesamten Menschheit. Der Wahn des Übermenschen und der Weltherrschaft nimmt erneut Gestalt an – sofern wir dem nichts entgegensetzen.

Hinter der Pandemie-Kulisse wird die biopolitische Umsteuerung mit aller Macht, also totalitär, angestrebt und umzusetzen versucht. Der alte Kapitalismus ist am Ende. Ein neuer drängt politisch-ökonomisch an die Herrschaft, an die Weltherrschaft. Der Umbruch ist aber auch eine einmalige strukturelle Chance für die große Mehrheit der Menschen, sich ihrer eigenen Interessen bewusst zu werden, sich einzumischen und das Scheitern der neoliberalen Ökonomie zum Anlass zu nehmen, revolutionär im Sinne der echten Demokratie neue gesellschaftliche und politisch-ökonomische Strukturen aufzubauen. Wo das Weltwirtschaftsforum und sein Wortführer Professor Klaus Schwab vom Great Reset der Vierten industriellen Revolution reden, fordern wir die Vierte demokratische Revolution, sprich: eine Revolution mit dem Ziel der demokratischen Kontrolle der Fabriken durch die Werktätigen, mit dem Ziel der demokratischen Kontrolle der Pharmaindustrie, der Digitalwirtschaft sowie des Finanz- und Bankenwesens. Wenn dieser demokratische Umbruch ausbleibt, droht uns ein totalitäres Regime, das jetzt schon unter dem Radarschirm der Pandemiebekämpfung installiert wird, und zwar seitens der politisch und ökonomisch Mächtigen mit den Mitteln digitaler Kontrolle und mit Notstandsmaßnahmen sicherheitspolitischer und polizeilicher Art, eben erst vom deutschen Verfassungsgericht als grundgesetzkonform abgesegnet.

04/05/2021

Giorgio Agamben: Das Gesicht und der Tod

 übersetzt von Barbara Hallensleben, NZZ, 30-4-2021 

Wo das Gesicht verschwindet, werden auch die Toten aus dem Leben verbannt: Gedanken zur unmenschlichen Gegenwart

Das Gesicht der Menschen ist der Ort ihrer Wahrheit. Wird es verhüllt, dankt die Politik ebenso ab wie die Freiheit.


Willey Reveley, Gesichtslose Statue der Proserpina in Eleusis, Aquarell mit Tusche auf Papier, um 1785

Offenbar sind in der neuen Ordnung des Planeten, die sich gerade abzeichnet, zwei Dinge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, zum völligen Verschwinden bestimmt: das Gesicht und der Tod. Wir wollen untersuchen, ob sie nicht irgendwie miteinander verbunden sind und was ihr Verschwinden bedeutet.

Das eigene Gesicht und das Gesicht der anderen zu erblicken, ist für den Menschen eine entscheidende, durchaus riskante Erfahrung – das wussten schon die Alten: «Was ‹Gesicht› heisst», schreibt Cicero, «kann bei keinem Lebewesen ausser beim Menschen existieren.» Und die Griechen bezeichneten den Sklaven, der nicht Herr seiner selbst ist, als aprosopon, wörtlich: «gesichtslos».

Ohne Gesicht keine Politik

Gewiss, alle Lebewesen zeigen sich und kommunizieren miteinander, doch nur der Mensch macht das Gesicht zum Ort, an dem er in seiner Wahrheit erkannt wird. Der Mensch ist das Lebewesen, das sein Gesicht im Spiegel erkennt und sich im Gesicht des anderen spiegelt und wiedererkennt. In diesem Sinne ist das Gesicht sowohl similitas, Ähnlichkeit, als auch simultas, Zusammensein der Menschen. Ein Mensch ohne Gesicht ist zwangsläufig allein, seiner Freiheit beraubt.

Daher ist das Gesicht der Ort der Politik. Wenn die Menschen einander immer und ausschliesslich Informationen mitzuteilen hätten, immer dieses oder jenes, gäbe es nie Politik im eigentlichen Sinne, sondern nur den Austausch von Nachrichten. Da die Menschen jedoch vorrangig ihre Offenheit mitzuteilen haben, ihre Weise, einander in einem Gesicht zu erkennen, ist das Gesicht die eigentliche Bedingung der Politik. Darauf beruht alles, was Menschen einander sagen und miteinander austauschen.