Franz. Original, 13. 10. 2025
Übersetzt von Tlaxcala
Die Verweise auf die 1930er Jahre häufen sich. Die Degeneration der US-amerikanischen Demokratie scheint uns zu der der Weimarer Republik zurückzuführen. Trump führt uns durch seine Lust an Gewalt und Lüge, durch die Ausübung des Bösen, unwiderstehlich zu Hitler zurück. In Europa zwingt uns der Aufstieg von Bewegungen, die als rechtsradikal kategorisiert werden, zu dieser Rückkehr zu unserer Geschichte.
Die westlichen Gesellschaften ähneln jedoch kaum mehr
dem, was sie in den 1930er Jahren waren. Sie sind überaltert, konsumorientiert,
tertiär; die Frauen sind emanzipiert; persönliche Entfaltung hat die
parteipolitische Bindung ersetzt. Was hat das mit den Gesellschaften der
dreißiger Jahre zu tun: jung, genügsam, industriell, proletarisch, männlich,
parteigebunden? Gerade diese sozial-historische Distanz hatte mich bis heute
dazu veranlasst, die Parallele zwischen den „Rechtenextremen“ der Gegenwart und
denen der Vergangenheit a priori für ungültig zu halten. Doch politische
Doktrinen existieren, heute wie gestern, und man kann sich nicht damit
begnügen, die Unmöglichkeit etwa eines Altersnazismus, eines konsumistischen
Franquismus, eines Faschismus befreiter Frauen oder eines Feuerkreuzler-LGBTismus
zu postulieren.
Es ist an der Zeit, die Doktrinen unserer Gegenwart mit
denen der 1930er Jahre zu vergleichen. Hier die Skizze dessen, was eine
vergleichende Studie von fünf historischen Phänomenen sein könnte: Hitlerismus,
Trumpismus, Netanjah(u)ismus, Le-Penismus. Am Ende füge ich kurz den
Macronismus hinzu. Der zentristische und europäistische Extremismus, der
Frankreich ins Chaos führt, zwingt uns zu dieser Prüfung. Ist dieser
Extremismus wirklich so zentristisch?
Es handelt sich um einen impressionistischen Ansatz, ohne
Anspruch auf Vollständigkeit oder auch nur Stringenz, dessen Ziel es ist,
Fährten zu legen, nicht zu schließen. Ich überzeichne Striche und Farben, um
die Konzepte zueinander in Beziehung zu setzen. Ich übertreibe bewusst, um eine
sich beschleunigende Geschichte einzuholen oder gar vorwegzunehmen.
„Expressionistischer Ansatz“ wäre vielleicht eine passendere Metapher.
Beginnen wir mit der allgemeinen Dimension von Rassismus
oder Fremdenfeindlichkeit.
Die Abweisung eines „Anderen“, der als außerhalb der
nationalen Gemeinschaft definiert wird – mit sehr unterschiedlichen
Intensitätsgraden –, ist dem Hitlerismus, dem Trumpismus und dem Le-Penismus
gemeinsam. Im Fall des Hitlerismus und des Trumpismus ist es der – explizite
oder implizite – Begriff des Rassismus, der gemeinsam ist. Juden galten im
Nationalsozialismus biologisch als „Rasse“. Schwarze, jene kaum verdeckten
Zielscheiben der trumpisierten Republikanischen Partei, werden ebenfalls
biologisch definiert. Dem Le-Penismus hingegen können wir nur den Begriff der
Xenophobie zuordnen. Araber oder Muslime werden über ihre Kultur definiert. Ein
Merkmal der französischen Fixierung auf Einwanderung bleibt ihre Obsession mit
dem Islam und ihre Unfähigkeit, Schwarze ins Visier zu nehmen, deren
massenhafte Ankunft jedoch das neue Element des Migrationsprozesses ist. Die
Quote der Mischehen schwarzer Frauen ist in Frankreich sehr hoch; in den USA
bleibt sie unbedeutend.
Ein den westlichen „Populismen“ gemeinsames Merkmal ist
natürlich ihre Ablehnung der Einwanderung: Reform UK, die Sverigedemokraterna
(Schwedendemokraten), die AfD, Viktor Orbán in Ungarn, Recht und Gerechtigkeit
in Polen, Giorgia Meloni in Italien bestehen – wie Trump oder Le Pen – die
Prüfung dieses gemeinsamen Nenners. Reicht das aus, um sie als „rechtsextrem“
zu definieren, in dem Sinne, wie Nationalsozialismus und Faschismus
rechtsextrem waren? Ich glaube nicht. Ein entscheidender Unterschied stellt den
heutigen Populismus der hitler- oder mussolinischen Rechten gegenüber:
Nationalsozialismus und Faschismus waren expansionistisch, mit dem Ziel, die
Macht des deutschen (arischen) bzw. italienischen (römischen) Volkes nach außen
zu projizieren. Sie waren aggressiv, nationalistisch, erobernd. Sie stützten
sich auf Massenparteien. Man mag sich kaum vorstellen, dass die heutigen
Populisten Nürnberger Aufmärsche organisieren. Die „Saucisson-Pinard“[Wurst und
Wein]-Aperitifs des RN sind gewiss antimuslimisch, aber doch weniger
eindrucksvoll als die kriegerischen Zeremonien der Nazis. Von Nürnberg nach
Hénin-Beaumont? Wirklich?
Der einzige westliche Populismus, der heute den
Expansionismus-Test zu 100 % bestünde, wäre der Netanyahus. Siedlungen im
Westjordanland, Genozid in Gaza: eine Verbindung zwischen Hitlerismus und
Netanjah(u)ismus herzustellen – ist unvermeidlich.
Die französischen, britischen, schwedischen, finnischen,
polnischen, ungarischen, italienischen Fremdenfeindlichkeiten sind – im
Gegensatz zu Nazismus und Faschismus – defensiv. Wir haben es nicht mit Völkern
zu tun, die erobern wollen, sondern mit Völkern, die Herren im eigenen Haus
bleiben wollen. Darum überwiegt heute in Europa die kulturelle Dimension
gegenüber der rassischen, und deshalb kann man hier nur von Xenophobie
sprechen. Diese Xenophobie ist konservativ, während der Hitler-Rassismus revolutionär
war, weil er die soziale Ordnung umstülpte. Der Begriff des Nationalismus passt
daher nicht auf die heutigen europäischen Populismen, ebenso wenig der Begriff
„extreme Rechte“ – oder wir müssten Oxymora wie „moderater Nationalismus“ und
„moderate extreme Rechte“ einführen. Ich spreche lieber von „Volkskonservatismus“.
Ich persönlich befürworte kontrollierte Einwanderung,
muss jedoch die Legitimität dieser Xenophobie anerkennen, weil ich das Axiom
akzeptiere, dass eine menschliche Gruppe, die eine Kultur trägt und sich als
Kollektiv bewusst ist – kurz: ein Volk – das Recht hat, weiter existieren zu
wollen. Konkret: Ein Volk kann seine Grenzen kontrollieren. Der Nazismus mit
seinen Soldaten von Atlantik bis Wolga, die andere Völker unterwerfen oder
ausrotten sollten, war etwas völlig anderes.
„Trump: Der neue Führer … Hitlers gefährlicher demagogischer Erbe“, ein Buch des ägyptischen Autors Taher Chalabi aus dem Jahr 2017, auf dem Ständer eines Trödlers in Tunis
Der Trumpismus stellt eine Mischform dar, weil er ein
zentrales defensives, anti-immigrantisches Element mit einem starken
Aggressionspotenzial nach außen verbindet. Es handelt sich nicht im
eigentlichen Sinne um Expansionismus. Es ist die vorangegangene Expansion des US-amerikanischen
Militärapparats und die Rolle des Dollars in der imperialen Ausbeutung, die die
gewaltsamen trumpistischen Handlungen gegen andere Völker und Nationen
ermöglichten: Venezuela, Iran, uns – die unterworfenen Völker Westeuropas – und
natürlich die Araber, mit den Palästinensern als Hauptziel. Die schrittweise
Integration Israels in das Imperium seit 1967 führt dazu, dass man 2025
Trumpismus und Netanjah(u)ismus kaum noch unterscheiden kann. Aber Trump,
jenseits seiner nobelpreisreifen Faxen, ist der Hauptschuldige am Genozid in
Gaza durch seine langfristigen Ermutigungen zur israelischen Gewalt: Diese
simple Tatsache lässt den Trumpismus auf die Seite des Hitlerismus kippen.
Trump sitzt weiterhin am Steuer: US-amerikanische Gasstöße und Bremsungen
regulieren Netanjahus genozidale Aggressivität. Ich habe Glück: In dem Moment,
da ich schreibe, weicht Trump, erschreckt über die Reaktion der arabischen
Länder auf den israelischen Angriff auf Katar – zumal durch das strategische
Bündnis zwischen Saudi-Arabien und Pakistan –, zurück. Er befiehlt Netanjahu,
sich für den Bombenangriff in Katar zu entschuldigen, und dieser gehorcht.
Trump zwingt Israel zu einem Abkommen mit der Hamas, und Netanjahu
unterschreibt. Und danach? Trump ist ein Perverser – unmöglich vorauszusagen.
Der Begriff „Trumpo-Netanjah(u)ismus“, zugegeben wenig
elegant, ermöglicht es, die „jüdische Frage“ als gemeinsamen Punkt der US-amerikanischen
Krise 2000–2035 und der deutschen Krise 1920–1945 zu fassen.
Die radikal pro-israelische Haltung des Trumpismus
kaschiert meines Erachtens einen tiefsitzenden, niederträchtigen
Antisemitismus: Die Gleichsetzung aller Juden mit dem Netanjah(u)ismus – ein
historisch tatsächlich monströses Phänomen, ein Krebsgeschwür der jüdischen
Geschichte – wird nur dazu führen, die nationalsozialistische Vorstellung eines
monströsen jüdischen Volkes zu erneuern. Ich spreche hier von einem
Antisemitismus 2.0.
Mir ist bewusst, dass mir nur wenige Leser in diesem
Punkt folgen werden. Doch ich spreche hier nur wie ein gewöhnlicher Prophet des
Alten Testaments: „Wir sind nicht auserwählt worden, um auf der Seite der
Mächtigen zu stehen. Die Geschichte hört nicht auf, uns diese Falle zu
stellen.“ Wie oft glaubten Juden, durch die Starken, die Mächtigen, die
Obrigkeit, ein Imperium gerettet zu sein – ja sogar durch ein Privileg
ausgezeichnet – finanzieller Erfolg, intellektuelle Bedeutung, Gewicht in der
bolschewistischen Partei –, um schließlich wütenden Völkern zum Fraß
vorgeworfen zu werden… Mein Herz blutet, wenn ich so viele französische Juden
sehe, die sich heute auf der Seite des Knüppels wähnen und Netanjahus Politik
rechtfertigen. Doch die Kiefer einer Falle gehen auf. Durch Trumps Gnaden wird
der ganze Planet antisemitisch. Die US-amerikanischen Juden, deren Mehrheit
Netanjahus Linie ablehnt, sind weiser und gerechter. Aber schon werden Juden,
die Netanjahu ablehnen – ob akademisch oder nicht –, von der Macht verdächtigt,
Antisemiten zu sein. Die Perversion herrscht. Der Trumpismus herrscht.
Wann schnappt die Falle zu? Eines Tages werden die
christlichen Nationen unvermeidlich ihren Frieden mit 1,6 Milliarden Muslimen
machen. Dann werden die Juden von ihren Fans im Stich gelassen und, nunmehr
allein, anderen wütenden Völkern zum Fraß vorgeworfen.
Die gelobten Länder folgen aufeinander, die Katastrophen
folgen ihnen. „Einbruch der Nach“t, die frühe Erzählung von Isaac
Asimov, diesem großen US-amerikanischen Science-Fiction-Autor, scheint mir eine
Metapher für die lange Abfolge von Dramen zu sein, die die jüdische Geschichte
ausmacht: Inmitten einer mächtigen Zivilisation kündigt ein prophetischer Rest
eine geheimnisvolle Katastrophe an… sie kommt, überraschend… die Zivilisation
bricht zusammen… dann, langsam, wird sie wiedergeboren, erblüht, überraschend…
In Wahrheit validiert schon die bloße Rückkehr der
jüdischen Obsession ins Herz des Westens die Hypothese einer bedrohlichen
Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Zombie-Protestantismus und Nationalsozialismus,
Null-Protestantismus und Trumpismus
Die Wirtschaftskrise von 1929 war ein maßgeblicher,
wohlbekannter Faktor der Hitlerisierung Deutschlands. Sechs Millionen
Arbeitslose entzogen die deutsche Gesellschaft jeder ideologischen Rückbindung.
Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Hitler binnen weniger Monate
besiegelte das Schicksal des Liberalismus.
Der religiöse Kontext des Aufstiegs des
Nationalsozialismus, ebenso wichtig, ist weniger vertraut: Zwischen 1870 und
1930 schwand der protestantische Glaube in Deutschland – zuerst in der
Arbeiterwelt, dann in den mittleren und oberen Schichten. Die katholischen
Regionen hielten stand. 1932 und 1933 konnte die Karte der NS-Wähler somit mit
faszinierender Genauigkeit die des Luthertums reproduzieren. Der
Protestantismus glaubte nicht an die Gleichheit der Menschen. Es gab die
Auserwählten, vom Ewigen schon vor ihrer Geburt dazu bestimmt, und die
Verdammten. War der metaphysische protestantische Glaube erst verschwunden,
blieb die hysterisierte Furcht vor der Leere seines ungleichen Inhalts – mit
Juden, Slawen und so vielen anderen als Verdammten. In den Vereinigten Staaten
richtete sich der Protestantismus calvinistischer Herkunft gegen Schwarze. Das
calvinistische Volk, an die Bibel fixiert, identifizierte sich mit den
Hebräern, was den US-amerikanischen Antisemitismus der 1930er Jahre begrenzte
und Juden schützte. Nun ja… geschützt bis zum jüngsten Aufkommen der
evangelikalen Fixierung auf den Staat Israel.
Im katholischen Frankreich (insbesondere im Pariser
Becken und an der Mittelmeerküste) ließ der Zusammenbruch von Glaube und Praxis
ab 1730 die Gleichheit der Chancen auf das Paradies (durch die Taufe, die von
der Erbsünde reinigt) in die Gleichheit der Bürger und in die Emanzipation der
Juden umschlagen. Die republikanische Idee des universellen Menschen ersetzte
die des universellen katholischen Christen (katholikós bedeutet auf
Griechisch „allumfassend“). Ein ganz anderes Programm als der
Nationalsozialismus, das aber lange vor ihm die erste massive Ablösung einer
Religion durch eine Ideologie darstellte. In Revolutionsfrankreich wie im
nationalsozialistischen Deutschland überlebte jedoch das soziale und moralische
Rahmenpotenzial der Religion den Glauben: Das Individuum blieb Mitglied seiner
Nation, seiner Klasse, Träger einer Arbeitsethik und eines Pflichtgefühls
gegenüber den Mitgliedern der Gruppe. Die Fähigkeit zur kollektiven Aktion war
stark, womöglich vervielfacht. Dies nenne ich das Zombie-Stadium der Religion.
Der Nationalsozialismus entsprach diesem Zombie-Stadium, daher – leider – seine
wirtschaftliche und militärische Effektivität.
Ich könnte diese religiöse Erklärung der Ideologie durch
eine Erklärung der Religion selbst ergänzen, beeinflusst durch die zugrunde
liegenden Familienstrukturen, in Deutschland ungleich, im Pariser Becken
egalitär. Man kann sich hier jedoch mit einer Kontinuität vom Protestantismus
zum Nationalsozialismus und vom Katholizismus zur Französischen Revolution
begnügen.
Wir finden Protestantismus im Trumpismus wieder. Wir
finden dann Ungleichheit, verbunden mit Negrophobie. Wir befinden uns jedoch
nicht mehr im Zombie-Stadium der Religion, sondern in ihrem Null-Stadium. Die
gemeinsame Moral ist verschwunden. Die soziale Wirksamkeit ist verschwunden.
Das Individuum treibt, besonders in jenem Amerika mit absoluter Kernfamilienstruktur,
individualistisch und ohne klare Erbregeln. Folglich ist von der trumpistischen
Ideologie anderes zu erwarten: weiterhin Ungleichheit, aber weniger Stabilität
im Wahn, brutale Oszillationen, die nicht fundamental aus dem Gehirn eines
vulgären und niederträchtigen Präsidenten stammen, sondern aus der Gesellschaft
selbst. Die Fähigkeit zu kollektiver, wirtschaftlicher und militärischer Aktion
ist – zu unserem Glück – stark vermindert.
Man beachte beim Trumpismus das Auftreten nihilistischer
pseudo-religiöser Formen, die eine obszöne Neuinterpretation der Bibel
einschließen, etwa die Verherrlichung der Reichen. In der Dimension des
Rassismus deutlich schwächer als der Nationalsozialismus, geht der Trumpismus
in der ökonomischen Unmoral weiter.
Der Nationalsozialismus war schlicht und explizit
antichristlich. Der Trumpismus gibt sich religiös, aber in der Art eines
satanischen Kultes – durch Umkehrung der Werte. Das Böse ist das Gute, die
Ungerechtigkeit ist die Gerechtigkeit. Hitler war nur der Führer, der das
deutsche Volk zu seinem Martyrium führte; Trump ist nicht Satan, aber ich
vermute, dass für seine satanistischen Fans seine rote Kappe die des
Antichristen ist.
Beim Le-Penismus gibt es kein ungleiches protestantisches
Erbe. Darin liegt das eigentliche Rätsel des Rassemblement National:
fremdenfeindlich, ist es auf katholischem Boden entstanden. Schlimmer noch:
Seine ersten Hochburgen an der Mittelmeerküste und im Pariser Becken waren die
der Revolution – familiär egalitär und seit dem 18. Jahrhundert entchristlicht.
Und nun? Ist das Rassemblement National ungleichheitsorientiert? Egalitär?
Rätsel für uns; wahrscheinlich auch für sich selbst. Seine Ablehnung des Anderen
entspringt einem perversen Egalitarismus, der eine rasche Assimilation der
Einwanderer verlangt, statt sie ihrem Wesen nach als verschieden zu empfinden.
Vor allem aber wird das RN, so sehr es von der Ablehnung von Einwanderern und
sogar deren Kindern bestimmt ist, ständig an die französische egalitäre
Tradition erinnert, weil seine Wähler die Ultrareichen, die Mächtigen – kurz:
unsere dummen Eliten – hassen, und nicht nur die Einwanderer. Deshalb tut sich
die „Union der Rechten“ in Frankreich so schwer. In der einen oder anderen Form
wirft das Bündnis der Oligarchen mit dem (weißen) Volk gegen den Fremden in den
USA, im Vereinigten Königreich und in Skandinavien keine Probleme auf, wo
konservative Volkskräfte und die klassische Rechte leicht zusammenfinden. In
Frankreich entzieht sich die Koalition der Reichen und Armen gegen den Fremden.
Unterschätzen wir jedoch nicht die potenzielle Gewalt
einer Fremdenfeindlichkeit universalistischer Prägung. Sie kann sehr wohl in
Rassismus umschlagen. Wenn ein Mensch a priori meint, die Menschen seien
überall gleich, und er Menschen mit anderen Sitten gegenübersteht, kann er sehr
wohl folgern, dass sie keine Menschen seien.
Das RN ist das Produkt eines Katholizismus Null, so wie
die Revolution das eines Zombie-Katholizismus war. Daher wird es kein
kollektives Projekt hervorbringen. Eine detaillierte Untersuchung des RN und
seines Verhältnisses zur Zukunft verschiebe ich auf einen nächsten Text – weder
impressionistisch noch expressionistisch –, den ich ganz der inneren Logik und
der Dynamik des französischen Chaos widmen werde.
Psychiatrie der oberen Mittelschichten
Ich komme nun zu einem entscheidenden Unterschied, der
jedem klar sein sollte und von politischen Kommentatoren, die uns mit ihrem
Vokabular unablässig in die 1930er Jahre zurückverweisen, in Erinnerung zu
rufen wäre. Das Verständnis der religiösen oder nach-religiösen Dimension des
Hitlerismus, des Trumpismus oder des Le-Penismus setzte historische Kenntnisse
voraus, die man von TV-Politologen nicht verlangen kann. Dagegen können wir von
ihnen verlangen, die Ideologien der Vergangenheit und der Gegenwart sozial zu
verorten, statt sie unablässig unter dem Begriff „extreme Rechte“
gleichzusetzen. Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist hier
sehr deutlich.
Der Nationalsozialismus und die Rechtsbewegungen der
Vorkriegszeit fanden ihr soziales Epizentrum in den Mittelschichten und
besonders in der oberen Mittelschicht, die durch die Arbeiterbewegung –
sozialdemokratisch oder kommunistisch – bedroht war. Diese Mittelschichten
waren fiebrig, damit beschäftigt, ihre Frauen einzusperren und Homosexuelle zu
verfolgen. Heute finden die sogenannten rechtsradikalen Bewegungen hingegen ihr
Epizentrum in den Volksschichten, insbesondere in einer verarmten Arbeiterwelt,
erschüttert oder zerstört durch die wirtschaftliche Globalisierung, bedroht
durch Einwanderung. Die heutigen Mittelschichten, weitgehend durch höhere Bildung
und hohem Einkommen definiert, sind von der „extremen Rechten“ kaum oder gar
nicht betroffen. Sie sind besonders immun.
Deshalb spreche
ich lieber von „Volkskonservatismus“ als von „extremer Rechter“. Seine
Verankerung in der Gruppe der Beherrschten erklärt den defensiven Charakter des Volkskonservatismus. Sein Wähler stellt sich nicht als Eroberer Europas
oder der Welt vor, wenn er sein eigenes Leben als Überleben empfindet.
Der wirkliche intellektuelle Fehler wäre, hier stehen zu
bleiben. Gehen wir weiter, kehren wir sogar die Problematik der Verbindung von
Ideologie und Klasse um. Wir haben die Ideologien der Gegenwart mit denen der
Vergangenheit verglichen; vergleichen wir nun die Klassen der Gegenwart mit
denen der Vergangenheit.
Teile der europäischen Mittelschichten der
Zwischenkriegszeit verfielen dem Wahnsinn. Die Arbeiterwelt war vernünftiger.
Aber sind die heutigen Mittelschichten, insbesondere die oberen, vernünftig?
Friedfertig? Wovon träumen sie?
Sie sind verrückt. Der Aufbau eines postnationalen
Europas ist das Projekt eines Halluzinierenden, wenn man die Vielfalt des
Kontinents kennt. Er hat zur Expansion der zusammengeflickten und instabilen
Europäischen Union in den ehemaligen sowjetischen Raum geführt. Die EU ist nun russenfeindlich,
säbelrasselnd, mit einer durch ihre wirtschaftliche Niederlage gegenüber
Russland erneuerten Aggressivität. Die EU versucht, die Völker Großbritanniens,
Frankreichs, Deutschlands und so vieler anderer in einen echten Krieg
hineinzuziehen. Was für ein seltsamer Krieg wäre es, in dem die westlichen
Eliten Hitlers Traum von der Zerstörung Russlands übernommen hätten!
Der Vergleich nach sozialen Klassen ermöglicht somit
einen großen intellektuellen Durchbruch. Der Europäismus – und damit der
Macronismus – fällt durch seine äußere Aggressivität auf die Seite des
Nationalismus, auf die Seite der Rechtsbewegungen der Vorkriegszeit. Wenn wir
die zunehmend massiven und systematischen Eingriffe in die Informationsfreiheit
und die Ausübung des Volkswillens im EU-Raum hinzufügen, nähern wir uns noch
stärker dem Begriff „extreme Rechte“. Als Verbund liberaler Demokratien gegründet,
verwandelt sich Europa in einen Raum der extremen Rechten. Ja, der Vergleich
mit den 1930er Jahren ist nützlich, ja unverzichtbar.
Im grandiosen europäistischen Projekt finden wir eine
psychopathologische Dimension, die bereits im Hitlerismus zu beobachten war:
Paranoia. Die europäistische Paranoia konzentriert sich auf Russland. Die der
Nazis machte die „jüdische Bedrohung“ zur Priorität, ohne den russischen
Bolschewismus (sogenannter „Judeo-Bolschewismus“) zu vernachlässigen.
Heute wie gestern können wir also eine Psychopathologie
der europäischen Führungsschichten analysieren. Die bizarre Sequenz, die mit
Trumps Wahl begann – und mit dem Willen des labilen Präsidenten, mit Putin zu
sprechen –, erlaubte uns, die Realitätsflucht unserer eigenen Führungen live zu
verfolgen. Fassen wir unseren Wahnprozess zusammen. Er begann um 2014, vor,
während und nach Maidan, jenem Staatsstreich, der die Ukraine zersetzte –
gelenkt von US-amerikanischen und deutschen Strategen. Nun das Weitere:
- 2014–2022: Provozieren wir Russland, das
gewarnt hatte, es werde die Annexion der Ukraine durch EU und NATO nicht
dulden.
Geschehen. Putin ist in die Ukraine einmarschiert. - 2022–2025: Verlieren wir den für uns daraus
folgenden Wirtschaftskrieg.
Geschehen. Unsere Gesellschaften implodieren. - 2022–2025: Verlieren wir den eigentlichen
Krieg, den das Kiewer Regime in unserem Auftrag führt.
Läuft zur Zeit.
Der Umschaltpunkt der europäischen Regierungen in eine
Parallelrealität beginnt 2025.
- Leiten wir aus unserer Niederlage die Idee ab,
wir könnten nun endlich unseren Willen durchsetzen und unsere Truppen in
der Ukraine stationieren, um das, was übrig bleibt, der EU einzuverleiben.
Wie ließe sich da nicht an Hitler denken, der 1945 in seinem Bunker eingeschlossen
Armeen befahl, die es nicht mehr gab.
Wir haben es heute in Europa mit Verrückten zu tun – oder
besser: mit einem kollektiven Wahnsinn, der massenhaft Individuen der
gesellschaftlich herrschenden Kreise erfasst hat. Allein in Frankreich
beteiligen sich Tausende Journalisten, Politiker, Akademiker, Unternehmer, hohe
Beamte an der kollektiven Halluzination eines Russlands, das Europa erobern
wolle (Paranoia). Dies oder jenes Individuum kann nicht persönlich
verantwortlich gemacht werden. Wir haben es mit einer kollektiven psychischen
Dynamik zu tun.
Ich bin überzeugt, dass die Verkleinerung des
Individuums, geboren aus dem Nullzustand der Religion, die Entstehung dieser
russenfeindlichen Schwärme erklärt.
Wie ich in Les Luttes de classes en France au XXIème
siècle erläutert habe, führte das Verschwinden kollektiver Glaubenssysteme
– religiöser und dann ideologischer des religiösen Zombie-Zustands – zu einem
Einbruch des menschlichen Über-Ichs. Anders als die Kämpfer für die Befreiung
des Ichs definiere ich das Über-Ich nicht nur oder vorwiegend als repressiv.
Das Über-Ich, als Ideal des Ichs, verankert im Menschen positive moralische und
soziale Werte. Begriffe wie Ehre, Mut, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit finden ihren
Ursprung und ihre Kraft im Über-Ich. Schwächt es sich, schwächen sie sich.
Verschwindet es, verschwinden sie. Der Mensch ist also durch das Ende von
Religion und Ideologien letztlich nicht befreit, sondern im Gegenteil
geschwächt worden. Es sind hochgebildete, aber moralisch und intellektuell
geschrumpfte Männer und Frauen – geschrumpft durch den Nullzustand der Religion
–, die massenhaft Träger der russenfeindlichen Pathologie sind.
Die nationalsozialistischen Antisemiten hatten eine ganz
andere psychische Konstitution. Der „Tod Gottes“, um mit Nietzsche zu sprechen,
trieb sie zwar in die Suche nach einem Führer, doch mangelte es ihnen nicht an
Über-Ich, und sie blieben zu kollektiver Aktion fähig. Die tragischen
Leistungen der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg zeugen davon. Wer würde es
heute wagen, sich unsere oberen Mittelschichten vorzustellen, wie sie an der
Spitze ihrer Völker dem Tod entgegen nach Kiew und Charkiw eilen würden? Unser
Ukraine-Krieg ist zum Lachen – ein Produkt der Emanzipation des Ichs, Tochter
der Persönlichkeitsentwicklung. Sterben werden nur Ukrainer und Russen.
Es sei denn…
Thermonukleare Austausche kommen ohne Helden aus.
9. Oktober 2025
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