Übersetzt von Ayman El Hakim, Tlaxcala
Am Morgen des 8. Dezember 2024 zogen die freien Männer des Südens in die Hauptstadt Damaskus ein, gefolgt von bewaffneten Fraktionen aus dem Norden und verschiedenen Provinzen, um einem halben Jahrhundert blutiger Tyrannei und Unterdrückung ein Ende zu setzen.
Dieses historische nationale Ereignis war der Anfang vom Ende der Ungerechtigkeit, des Despotismus und der Einparteienherrschaft. Leider wurden wir auch Zeuge von Praktiken und Initiativen, die mit den Grundprinzipien der Revolution vom 18. März 2011 unvereinbar waren: „Eins, eins, eins, das syrische Volk ist eins“. Kurden und Araber vereint, Christen und Muslime Hand in Hand, Sunniten und Alawiten solidarisch - ein Staat der Staatsbürgerschaft für alle Syrer, in dem die Menschen BürgerInnen und nicht Untertanen sind. Diese Prinzipien, für die unser Volk fast eine halbe Million MärtyrerInnen geopfert hat, bleiben der Eckpfeiler unserer Vision.
Die Syrer haben das kriminelle Assad-Regime gestürzt, doch es ist kein Geheimnis, dass es Hände gibt, die der Mehrheit der Syrer wohlbekannt sind, Hände, die das tyrannische Regime in neuem Gewand reproduzieren können, indem sie die Wunden der blutigen internen Konflikte, Kriegsverbrechen und Liquidierungen fortsetzen.
Heute, da die Regionalmächte Hay'at Tahrir al-Scham (HTS) die operative Autorität in Damaskus zugesprochen haben, erleben wir eklatante Manipulationsversuche derjenigen, die in den Präsidentenpalast eingedrungen sind. Jede Fraktion versucht zunächst, ihre Interessen zu sichern, indem sie dafür sorgt, dass die neuen Behörden das Projekt zum Bau von Organen, die der türkischen Vision für die Region entsprechen, befürworten.
Diese Akteure nutzen die Tatsache aus, dass es denjenigen, die heute Damaskus kontrollieren, an Volkslegitimität mangelt, da ihre Hände mit syrischem Blut befleckt sind, sie Verbündete und Gegner liquidiert haben und anfällig für die Beeinflussung durch ausländische Mächte im Namen regionaler, internationaler und lokaler Gleichungen sind, die die Erreichung von Stabilität im Land und in der Region nicht erleichtern.
Wir Syrer befinden uns nun unter einer neuen, schwachen Autorität, die durch den Lebenslauf ihrer Führer beeinträchtigt wird. Bewaffnete Milizen, einschließlich ausländischer Kämpfer, sind zum mächtigsten Teil des Sicherheits- und Militärapparats geworden und versuchen, ihre Vision, die sie von der Diktatur, die wir seit 60 Jahren kennen, kopiert haben, in jeder internen nationalen Debatte oder jedem Dialog durchzusetzen. Gleichzeitig spielen externe Kräfte die Rolle des Paukers und der obersten Aufsicht über die Schritte der „Übergangsregierung“.
Der syrische Staat kann ohne die konzertierte Anstrengung aller seiner BürgerInnen, die auf einem Gefühl der Zugehörigkeit zum Vaterland beruht, nicht wieder aufgebaut werden. Kein Entscheidungsträger in Damaskus oder seine Opposition kann es sich leisten, die tieferen Ursachen unserer gegenwärtigen Tragödie zu überfliegen: seit 2011 haben Politiker, bewaffnete Gruppen und das Regime alle nach externer Bestätigung gesucht, um „Legitimität“ zu gewinnen und an der Macht zu bleiben.
Die meisten Konfliktparteien haben in unterschiedlichem Maße dazu beigetragen, den Syrern Angst und Spaltung einzuflößen, sie auf sektiererische, religiöse, ethnische oder Stammesidentitäten zu reduzieren und damit das Fehlen eines auf Staatsbürgerschaft basierenden Staates fortzusetzen - eine Situation, die mit der Herrschaft von Assad Vater begann. Mit anderen Worten: eine Rückkehr zu den autoritären osmanischen Strukturen.
Sowohl Islamisten als auch Säkulare sind, getrieben von momentanen Emotionen, in die Falle des Populismus getappt - zu einem hohen Preis. Die Zeit ist reif für einen rationalen und weisen Dialog, fernab des Geredes über Niederlagen und Siege.
In einer Situation wie der gegenwärtigen rufen wir die SyrerInnen dazu auf, sich an die Grundprinzipien zu halten, denen die große Mehrheit der SyrerInnen zustimmt:
1. Souveränität und Gleichheit der BürgerInnen.
2. Würde und Menschenrechte für alle, unabhängig von Nationalität, Religion oder Konfessionszugehörigkeit.
3. Gleichheit der Geschlechter - Frauen sind Männern gleichgestellt.
4. Meinungsfreiheit und politische Partizipation.
5. Die Rechtsstaatlichkeit.
6. Eine ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung.
Maßnahmen, die wir für notwendig erachten :
• Einrichtung eines Nationalen Militärrats: freie Offiziere sollten einen Rat bilden, der den Wiederaufbau einer vereinigten syrischen Nationalarmee beaufsichtigt.
• Einberufung einer allgemeinen nationalen Konferenz, die alle nationalen Kräfte Syriens einschließt und niemanden ausschließt, unter der Schirmherrschaft der internationalen Gemeinschaft. Diese Konferenz würde sich an der Sitzung des UN-Sicherheitsrats am 18. Dezember 2024 orientieren, um die Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats umzusetzen, die auf die Schaffung eines Übergangsregierungsorgans, eines Ausschusses zur Ausarbeitung der Verfassung und eines unabhängigen Justizorgans für die Übergangsjustiz abzielt.
• Bildung einer technokratischen Übergangsregierung: ihr Mandat wird mit der Wahl einer Regierung im Rahmen der neuen Verfassung enden.
• Wiederbelebung und Ausbau des syrischen Netzwerks für freie und faire Wahlen.
• Einrichtung der Syrischen Nationalen Menschenrechtskommission: eine Zusammenarbeit zwischen Menschenrechts- und Anwaltsorganisationen, um alle Menschenrechte in Syrien zu gewährleisten und zu schützen, wobei alle Diskriminierungen gegen Frauen beseitigt werden müssen.
• Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: alle Parteien müssen sich zur Einhaltung der Grundsätze verpflichten, die Syrien 1968 ratifiziert hat, und damit die BefürworterInnen von Bürgerrechten und Demokratie von denjenigen unterscheiden, die eine Diktatur reproduzieren wollen.
• Kriminalisierung von Hassreden und Aufstachelung zum Sektierertum: Erlass von Gesetzen gegen Hassreden aufgrund von Religion, Rasse, ethnischer Zugehörigkeit oder Nationalität und Änderung des Strafgesetzbuchs, um die Strafen für systematische sektiererische Gewalt und Tötungen zu erhöhen.
Zusätzliche Punkte:
• Ausländische Besatzung: die Welt und auch das syrische Volk sind sich der Präsenz zahlreicher Besatzungstruppen in unserem Land sehr wohl bewusst, insbesondere der US-amerikanischen, türkischen und israelischen Truppen, die derzeit auf syrischem Boden stationiert sind. Wir waren Zeugen der eklatanten israelischen Aggression gegen syrisches Territorium, die sich gegen die militärische Infrastruktur, Forschungszentren und Rüstungsfabriken richtete. Es scheint eine stillschweigende Übereinkunft oder Koordination zwischen den De-facto-Behörden, ihren Anhängern und der israelischen Armee zu geben, sich gemäß den israelischen Bedingungen sowie denen der Mächte, die das derzeitige Regime unterstützen, abzusetzen. Dennoch haben wir weder vom Sicherheitsrat noch von den westlichen Parteien eine Verurteilung oder auch nur eine klare und unmissverständliche Forderung nach einem Rückzug aller ausländischen Streitkräfte von syrischem Boden gehört. Dies ist eine Lektion für alle Syrer, die am Aufbau einer nationalen Armee arbeiten müssen, wobei sie den Abzug dieser ausländischen Streitkräfte im Auge behalten und die Einheit des syrischen Territoriums und des gesamten nationalen Bodens bewahren müssen.
• Wirtschaftssanktionen: Das syrische Volk leidet seit zwei Jahrzehnten unter einseitigen Sanktionen, die sich auf alle Aspekte des Lebens auswirken. Wir fordern die sofortige und bedingungslose Aufhebung dieser Sanktionen, um das Leiden unseres Volkes zu lindern.
Alle diese Forderungen erfordern dringenden Handlungsbedarf. Verzögerungen, Aufschieben oder Vernachlässigung sind inakzeptabel. Die Geschichte lehrt uns, dass das Fehlen klarer Fristen zu katastrophalen Folgen führt.
Aufruf zum Handeln :
Nach dreiwöchigen Gesprächen zwischen politischen und zivilen Kräften haben wir die Notwendigkeit erkannt, das größtmögliche Treffen zu organisieren, um all jene zu vereinen, die sich dem Aufbau eines souveränen Staates, einer inklusiven Bürgerschaft und einem demokratischen Übergang verschrieben haben. Dieses zentrale Treffen wird in einer syrischen Stadt stattfinden, die in der Lage ist, es auszurichten, mit parallelen Versammlungen per Videokonferenz in Genf und in den wichtigsten syrischen Städten.
Ziel dieses großen nationalen Treffens ist es, einen einheitlichen Fahrplan zu entwickeln, die Zusammenarbeit zwischen den treibenden Kräften zu fördern und ein Syrien nach dem Vorbild seines Volkes in Aussicht zu stellen. Alle Hinweise, die wir heute beobachten, zeigen, dass die De-facto-Behörden beabsichtigen, einen Militär- und Sicherheitsapparat aufzubauen, der die Tragödien wiederholt, die unser Volk in Idlib von denselben Entscheidungsträgern erlitten hat, die heute Damaskus kontrollieren. Dazu gehören die Beschlagnahmung der Entscheidungsbefugnis von Berufsgewerkschaften und die Fortsetzung von Vergeltungs- und Racheaktionen gegen große Teile unserer Bevölkerung.
Das Vorbereitungskomitee ruft alle Syrer auf, sich diesen Bemühungen anzuschließen und Ausgrenzung und Spaltung abzulehnen, um eine neue Diktatur zu verhindern und die Gefahren eines Bürgerkriegs und einer Teilung abzuwenden.
Es lebe das freie und unabhängige Syrien!
Das Vorbereitungskomitee für das Große Treffen der zivilen und politischen Kräfte und Persönlichkeiten Syriens.
Um sich anzumelden, füllen Sie bitte das Formular hier aus: ➤https://syrnc.org
Sunniten, Alawiten, Drusen, Christen, Araber, Kurden: ein einziges Volk