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12/12/2025

FR -> EN | ES | DE | La stratégie américaine 2025 : un récit pour masquer un changement de centre de gravité
NSS 2025 : Narrative to conceal a shift in the centre of gravity
Relato para ocultar un cambio de centro de gravedad
Erzählung, die eine Verschiebung des strategischen Schwerpunktes überdeckt

 

Fausto Giudice, François Vadrot | 9/12/2025

La stratégie américaine 2025 : un récit pour masquer un changement de centre de gravité

La nouvelle Stratégie nationale de sécurité (NSS) publiée début décembre a été lue comme un retour de la doctrine Monroe, un durcissement trumpiste ou un simple recentrage anti-chinois. En la reprenant à la lettre et en la replaçant dans la séquence du 8–11 octobre, lorsque la Chine a montré qu’elle pouvait remodeler l’équilibre mondial sans tirer un coup de feu, une autre image apparaît : celle d’une puissance qui écrit à l’intérieur d’un ordre déjà structuré par Beijing, où l’hémisphère occidental n’est plus isolable et où l’Europe est traitée comme un risque à encadrer plutôt qu’un levier. La NSS 2025 proclame le « non-interventionnisme sélectif », renonce aux changements de régime, reconnaît implicitement l’emprise matérielle chinoise et requalifie la Russie en facteur de stabilisation continentale. Ce texte n’ordonne plus le monde : il tente de stabiliser un récit alors que le centre de gravité stratégique s’est déplacé hors de portée des USA.

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Translated by Tlaxcala

The 2025 U.S. National Security Strategy: a narrative to conceal a shift in the centre of gravity

The new National Security Strategy (NSS) published in early December has been read as a return of the Monroe Doctrine, a Trumpesque hardening or a simple anti-China refocus. If we take it literally and place it back in the 8–11 October sequence, when China showed it could reshape the global balance without firing a shot, a different picture emerges: that of a power writing inside an order already structured by Beijing, where the Western Hemisphere is no longer isolable and Europe is treated as a risk to be managed rather than a lever. The 2025 NSS proclaims “selective non-interventionism”, renounces regime change operations, implicitly acknowledges China’s material grip and recasts Russia as a factor of continental stabilisation. This text no longer orders the world: it tries to stabilise a narrative at a time when the strategic centre of gravity has moved out of reach of the United States.

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Traducido por Tlaxcala

La estrategia nacional de seguridad 2025 de USA: un relato para ocultar un cambio de centro de gravedad

La nueva Estrategia Nacional de Seguridad (NSS) publicada a principios de diciembre fue leída como el regreso de la doctrina Monroe, un endurecimiento trumpista o un simple recentraje antichino. Si se la toma al pie de la letra y se la recoloca en la secuencia del 8 al 11 de octubre, cuando China demostró que podía remodelar el equilibrio mundial sin disparar un solo tiro, aparece otra imagen: la de una potencia que escribe dentro de un orden ya estructurado por Beijing, donde el hemisferio occidental ya no es aislable y donde Europa es tratada como un riesgo que hay que encuadrar más que como un palanca. La NSS 2025 proclama el “no intervencionismo selectivo”, renuncia a los cambios de régimen, reconoce implícitamente la impronta material china y reclasifica a Rusia como factor de estabilización continental. Este texto ya no ordena el mundo: intenta estabilizar un relato en el momento en que el centro de gravedad estratégico se desplazó fuera del alcance de USA.

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Übersetzt von Tlaxcala

Die US-amerikanische Sicherheitsstrategie 2025: eine Erzählung, die eine Verschiebung des strategischen Schwerpunktes überdeckt

Die neue Nationale Sicherheitsstrategie (NSS), die Anfang Dezember veröffentlicht wurde, ist vielfach als Rückkehr zur Monroe-Doktrin, als trumpistische Verschärfung oder als einfache Neuausrichtung gegen China gelesen worden. Liest man sie jedoch wörtlich – und setzt sie in Beziehung zu der Sequenz vom 8. bis 11. Oktober, als China zeigte, dass es das globale Gleichgewicht verändern kann, ohne einen Schuss abzugeben –, entsteht ein anderes Bild: das einer Macht, die in einem bereits von Peking strukturierten Ordnungsrahmen schreibt, in dem die westliche Hemisphäre nicht mehr isolierbar ist und Europa eher als Risiko zu kontrollieren denn als strategischer Hebel behandelt wird. Die NSS 2025 verkündet einen „selektiven Nichtinterventionismus“, verzichtet auf Regimewechsel, erkennt implizit die materielle Dominanz Chinas an und stuft Russland als Faktor kontinentaler Stabilisierung neu ein. Dieses Dokument ordnet die Welt nicht mehr; es versucht, eine Erzählung zu stabilisieren, obwohl sich der strategische Schwerpunkt bereits außerhalb der Reichweite der USA verschoben hat.

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08/12/2025

Wie der Zionismus der Welt verkauft wurde
Harriet Malinowitz über ihr Buch „Selling Israel: Zionism, Propaganda, and the Uses of Hasbara“

Das neue Buch von Harriet Malinowitz, Selling Israel: Zionism, Propaganda, and the Uses of Hasbara [Israel verkaufen: Zionismus, Propaganda und der Einsatz von Hasbara], zeigt auf, wie israelische Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit den Zionismus förderten und gleichzeitig die Unterdrückung und Enteignung der Palästinenser verschleierten.

Eleanor J. Bader, Mondoweiss, 29.11.2025

Übersetzt von Tlaxcala

Eleanor J. Bader ist eine in Brooklyn, New York, ansässige freie Journalistin, die über soziale Fragen und innenpolitische Themen für Truthout, The Progressive, Lilith, In These Times, The Indypendent, Ms. Magazine und Mondoweiss schreibt.

Im Zentrum des neu erschienenen Buches von Harriet Malinowitz stehen eine Reihe drängender Fragen. „Wie konnte eine anfänglich kleine Gruppe osteuropäischer jüdischer Denker und Aktivisten die Juden der Welt davon überzeugen, dass sie ein einziges ‘Volk’ seien, das einer gemeinsamen Bedrohung ausgesetzt sei, einen gemeinsamen Weg zur Rettung teile – und außerdem ein gemeinsames Gebot habe, diesen Weg zu verfolgen?“, fragt sie. „Wie konnten sie den Rest der Welt davon überzeugen, sie als Nation unter den Nationen aufzunehmen? Und wie konnten sie allen Beteiligten – einschließlich sich selbst – einreden, dass ihr Befreiungsprojekt ein wohltätiges, edles und legitimes Unterfangen sei, das keine Opfer und keinen Kollateralschaden verursache?“


Die Antworten auf diese Fragen stehen im Mittelpunkt von Selling Israel. Das Buch untersucht sie nicht nur systematisch, sondern geht auch der Frage nach, wie Hasbara – eine weltweit praktizierte, aber vom israelischen Staat initiierte Propaganda- und PR-Strategie – dazu gedient hat, den Zionismus zu stärken, die Wahrnehmung der Unterdrückung der Palästinenser zu mindern und den Mythos zu verbreiten, der 78 Jahre alte Staat sei als „Land ohne Volk“ entstanden.

Das umfassend recherchierte Werk wurde von Publisher’s Weekly als „eine beeindruckende und sorgfältige Herausforderung etablierter Narrative“ gelobt.

Kurz nach der Veröffentlichung sprach Malinowitz mit der Journalistin Eleanor J. Bader über sich selbst, ihre Forschung und ihre Ergebnisse.

Eleanor J. Bader: Sind Sie mit dem Glauben aufgewachsen, dass Israel für das Überleben der Juden notwendig sei?

Harriet Malinowitz: Tatsächlich bekam ich anfangs nicht das übliche Verkaufsargument über Israel zu hören – dass das Land als sicherer Ort für Juden gegründet worden sei. Was ich stattdessen hörte, war, dass Israel wunderbar sei, weil alle dort Juden seien: die Busfahrer, die Müllmänner, die Lehrer, die Bankangestellten, die Polizisten. Einfach alle!

Bader: Wann begannen Sie, dies in Frage zu stellen?

Malinowitz: Es war ein allmählicher Prozess. Ich reiste 1976 zum ersten Mal mit meiner Mutter und meinem Bruder nach Israel, kehrte 1977 zurück und verbrachte mehrere Monate in einem Kibbuz. Ich besuchte das Land erneut 1982 und 1984.

Als ich acht Jahre alt war, zog meine Tante dorthin. Sie lebte von 1962 bis 1969 in Israel, und wir schrieben uns regelmäßig Briefe. Ihre Briefe enthielten viele Schilderungen aus dem Alltag des Kibbuz.

Mein Hebräischlehrer ließ mich ihre Briefe im Unterricht laut vorlesen und strahlte vor Stolz – bis einer der Briefe damit endete, dass Israel ein großartiges Land zum Besuchen, aber nicht zum Leben sei. Der Brief wurde mir sofort aus der Hand gerissen.

Als meine Tante in die USA zurückkehrte, brachte sie ihren irakisch geborenen Ehemann mit, der zu Recht verbittert darüber war, wie Mizrahi-Juden in Israel von der aschkenasischen Elite behandelt wurden. Er war Ökonom und stieß dort beruflich an eine gläserne Decke. Er war froh, das Land verlassen zu können.

Während meiner Zeit im Kibbuz arbeiteten palästinensische Männer auf den Feldern in der Nähe der Kibbuz-Mitglieder und der internationalen Freiwilligen; doch wenn wir für eine Pause in die sogenannte „Frühstückshütte“ gerufen wurden, sah ich, dass sie einfach weiterarbeiteten. Ich begegnete auch palästinensischen Händlern im Shuk [Hebr. Fürs arab. Suq], dem arabischen Markt in der Altstadt Jerusalems, und trank mit ihnen Tee. So wurde mir klar, dass das, was man mir erzählt hatte – dass alle Menschen in Israel Juden seien – nicht stimmte. Man erklärte mir, sie seien „israelische Araber“, allerdings ohne überzeugende Begründung. Das verwirrte mich völlig. Dennoch war ich überzeugt, dass ich etwas nicht verstanden hatte.

Als ich 1984 in die USA zurückkehrte, engagierte ich mich in Solidaritätsarbeit für Zentralamerika, was mir ein neues Bewusstsein für internationale militärische Unterstützungsstrukturen und für die Propaganda vermittelte, die wir als US-Amerikaner*innen erhielten. Gleichzeitig las ich Lenni Brenners Buch Zionism in the Age of Dictators (1983), das von der Zusammenarbeit der Zionisten mit den Nazis berichtete. Das erschütterte mich tief.

Ich wusste gerade genug, um von der ersten Intifada 1987 begeistert zu sein. Aber während der zweiten Intifada 2002 hatten die Menschen bereits Mobiltelefone, und über das Radio – Democracy Now! – konnte ich in Echtzeit Schüsse in Dschenin hören. Es gab nun Blogs und Mailinglisten, die auf neue Weise Informationen verbreiteten. Doch ich war noch immer naiv genug, um fassungslos zu sein, dass Israel einem UN-Ermittlungsteam den Zugang verweigerte. Das war ein entscheidender Wendepunkt für mich.

Während ich 2004 in Australien war, las ich Ilan Pappés The History of Modern Palestine, um mich auf ein kleines Treffen von Journalistinnen, Akademikerinnen und Aktivistinnen in Sydney vorzubereiten, bei dem Pappé der Ehrengast war. Eine der wichtigsten Erkenntnisse dieses Abends war für mich, dass das entscheidende Jahr für das Verständnis der Situation tatsächlich 1948 ist und nicht 1967. Eine weitere Einsicht war, dass Veränderungen nicht von innerhalb Israels kommen würden, sondern von den Palästinenserinnen und ihren internationalen Verbündeten. Dieses Treffen hatte einen enormen Einfluss auf mich, und als ich in die USA zurückkehrte, vertiefte ich meine Forschung zur Geschichte Palästinas und des Zionismus und verknüpfte sie schließlich mit meiner bereits fortgeschrittenen Arbeit zur Propaganda. Bald wusste ich, dass ich ein Buch über Zionismus und Propaganda schreiben wollte – aber es dauerte zwanzig Jahre, bis ich das Projekt vollenden konnte.

Bader: Die Vorstellung, dass Gott Israel den Juden versprochen habe, wird kaum infrage gestellt. Warum?

Malinowitz: Ich denke, die Menschen haben Angst davor, die religiösen Überzeugungen anderer anzutasten, insbesondere wenn es um Gott geht. Außerdem glauben viele Menschen tatsächlich an diese Behauptung!

Bader: Sie schreiben, dass Israelis den Holocaust vor den 1960er Jahren selten erwähnten, weil der Verlust von sechs Millionen Juden als Zeichen der Schwäche galt, als ob sie „wie Schafe zur Schlachtbank“ gegangen wären. Gleichzeitig erwähnen Sie, dass David Ben-Gurion den Genozid als eine „nützliche Katastrophe“ betrachtete. Können Sie das erläutern?

Malinowitz: Ich war schockiert darüber, wie stark Holocaustüberlebende in den frühen Jahren des Staates verachtet wurden, als seien sie ein Makel auf der israelischen Männlichkeit, der beseitigt werden müsse. Später allerdings fand ein ideologischer Wandel statt: Das israelische Militär versicherte der Welt, stark, entschlossen und kampfbereit zu sein, doch gleichzeitig konnte der Holocaust angerufen werden, um Israels fortwährende Opferrolle zu betonen und sämtliche Aktionen im Namen der Verhinderung eines neuen Genozids zu rechtfertigen. Ebenso wurde der Holocaust strategisch genutzt, wenn es um internationale Spendensammlungen ging oder darum, Mitleid mit Israel als angeblich bedrängter Nation zu erzeugen.

Bader: Der Zionismus wurde überwiegend von aschkenasischen Juden propagiert, die die Vorstellung eines einheitlichen jüdischen Volkes verbreiteten. Wie konnte sich diese Idee durchsetzen?

Malinowitz: Der Zionismus entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert unter jüdischen Gemeinschaften Osteuropas und Mitteleuropas als Reaktion auf ihre bedrohliche Lage. Es war viel von einem „jüdischen Volk“ die Rede, doch Juden außerhalb Europas wurden erst viel später wahrgenommen – nämlich dann, als man sie zur Bevölkerungsverstärkung benötigte. Für mich ist die Behauptung, Israel repräsentiere alle Juden, ein Trugschluss. Ich zum Beispiel wurde nie gefragt!

Einige Menschen sprechen im Namen anderer – und nutzen sie letztlich. Der Anspruch einer Gruppe, für alle zu sprechen und ein homogenes jüdisches Volk zu verkörpern, ist Propaganda. Es erinnert mich an den weißen Feminismus der 1970er Jahre, als einige wenige Frauen behaupteten, „für alle Frauen“ zu sprechen. Wer hatte sie gewählt?

Bader: Was ist aus dem sozialistischen Impuls geworden, der viele Zionisten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts antrieb?

Malinowitz: Bis 1977, als Menachem Begin gewählt wurde und der Likud zur politischen Kraft aufstieg, wurden die Kibbuzim von Aschkenasen dominiert und erhielten erhebliche staatliche Subventionen der damals regierenden Arbeitspartei. Sie waren in Wirklichkeit nicht selbsttragend. In gewisser Weise war ihr „Sozialismus“ eher ideologisch und lebensstilorientiert als wirtschaftlich fundiert – mehr zionistisch als marxistisch. In den 1980er Jahren mussten die Kibbuzim ihre Struktur ändern, um zu überleben, und sich von der Landwirtschaft zur Industrie wenden: Tourismus, Produktion, Immobilienentwicklung, Technologie. Die utopisch-kollektivistische Stimmung war verschwunden.

Bader: Wie hat die gezielt erzeugte Unsicherheit über Ereignisse wie die Nakba von 1948 Israels Propagandaapparat genutzt?

Malinowitz: Zweifel kann eine mächtige Waffe sein. Es gibt ein von der Tabakindustrie entwickeltes Modell, das von Zionisten, Klima- und Holocaustleugnern, Leugnern des armenischen Genozids und anderen übernommen wurde. Das Prinzip lautet, dass es konkurrierende Narrative gebe, die gleichermaßen berücksichtigt werden müssten – anstatt, ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Genau deshalb dauerte es so lange, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Rauchen Krebs verursacht: Die Industrie stellte wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage und präsentierte ihre eigenen „Forschungen“, sodass die Menschen dachten, das Urteil sei noch nicht gefällt, und sie könnten weiterrauchen, bis eine eindeutige Gefahr feststehe. Bei der Leugnung der Nakba funktioniert es genauso. Wenn Zionisten die Palästinenser 1948 nicht wirklich vertrieben haben, tragen sie auch keine Verantwortung für die Flüchtlinge – nicht wahr?


„Arbeiter! Deine Zeitung ist die Folks-tsaytung!” Plakat in Polnisch und Jiddisch. Illustration von H. Cyna. Gedruckt von Blok, Warschau, 1936.


Kinder im Sanatorium Medem versammeln sich um die Folks-tsaytung, die Tageszeitung des Bundes, Międzeszyn, Polen, 1930er Jahre.

Bader: Die Idee, dass Israel für das Überleben der Juden unerlässlich sei, wurde lange als wahr betrachtet. Warum konnten alternative Konzepte zum Zionismus nicht Fuß fassen?

Malinowitz: Assimilation ist eine Alternative, die viele gewählt haben, doch sie untergräbt das zionistische Projekt – und sie zu dämonisieren war daher eine zentrale Aufgabe der Zionisten. Der jüdische Bund in Europa vertrat die Ansicht, dass man gegen alle Formen der Diskriminierung kämpfen und die Arbeiterbewegung ebenso unterstützen müsse wie den Kampf gegen den Antisemitismus. Er lehnte die Gründung eines eigenständigen jüdischen Staates ab. Das hat für mich immer Sinn ergeben. Migration nach Nordamerika oder anderswohin wurde ebenfalls als sinnvolle Alternative angesehen. Es gab kulturelle Zionisten, die glaubten, Palästina könne ein sicherer Zufluchtsort ohne staatliche Souveränität sein.

Der Bund wurde in den Vereinigten Staaten nie wirklich bekannt, und seine Grundsätze setzten sich nicht durch, während der Zionismus an Einfluss gewann. Stattdessen verbreiteten Zionisten die Idee, Israel sei die einzige Lösung für den Antisemitismus – der einzige Weg, wie Juden sicher sein könnten.

Bader: Es gibt viele Mythen über Israel – von der Vorstellung, das Land sei leer gewesen, bis zur Behauptung, die Israelis hätten „die Wüste zum Blühen gebracht“. Wie konnten sich diese Ideen verbreiten?

Malinowitz: Sowohl „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ als auch „sie haben die Wüste zum Blühen gebracht“ sind Werbeslogans, um den Ausdruck des israelischen Exilanten und Antizionisten Moshe Machover zu verwenden. Doch obwohl es sich um groteske Lügen handelt, hielten sich diese Formeln hartnäckig. Es ist wie mit der Idee, Kolumbus habe Amerika „entdeckt“ – man glaubt es, bis man auf Beweise stößt und merkt, wie absurd das ist.

Ich denke zudem, dass Formulierungen wie „die Wüste zum Blühen bringen“ auch deshalb attraktiv sind, weil sie den Israelis fast übernatürliche Fähigkeiten verleihen. Sie lassen sie wie Wundertäter erscheinen und erhöhen sie in der populären Vorstellung. Solange zionistische Anhänger innerhalb der logischen Blase von Organisationen wie dem Jüdischen Nationalfonds, dem Jüdischen Weltkongress, Hillel und Birthright bleiben, erhalten sie eine attraktive Belohnung: ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit.

06/12/2025

Der Wettlauf um kritische Mineralien bringt den Planeten in Gefahr

Johanna Sydow  und Nsama Chikwanka, Project Syndicate, 5.12.2025

Übersetzt von Tlaxcala

Johanna Sydow ist Referentin für Internationale Umweltpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung.
Nsama Chikwanka ist nationaler Direktor von Publish What You Pay Zambia.

Während Regierungen den Umweltschutz schwächen, um neue Bergbauprojekte zu fördern, vertieft das globale Rennen um kritische Mineralien soziale Spaltungen und schädigt lebenswichtige Ökosysteme. Nur ein geringerer Verbrauch und robuste, durchsetzbare Regeln können langfristige Schäden verhindern und grundlegende Menschenrechte schützen.


Ein Blick auf die zerlegten Überreste eines illegalen Goldminenlagers namens „Mega 12“ während einer Polizeirazzia zur Zerstörung illegaler Maschinen und Ausrüstung im Amazonas-Dschungel der Region Madre de Dios im Südosten Perus am 5. März 2019. – Der illegale Goldabbau im Amazonasgebiet hat in den letzten Jahren „epidemische“ Ausmaße erreicht, wodurch unberührte Wälder und Wasserwege geschädigt und indigene Gemeinschaften bedroht werden. Foto GUADALUPE PARDO / POOL / AFP via Getty Images.

BERLIN – Die ökologischen und menschlichen Kosten der mineralischen Rohstoffgewinnung werden von Tag zu Tag deutlicher – und alarmierender. Etwa 60 % der Wasserwege in Ghana sind heute stark verschmutzt, weil entlang der Flussufer Gold abgebaut wird. In Peru haben viele Gemeinschaften den Zugang zu sauberem Trinkwasser verloren, nachdem Umweltschutzmaßnahmen gelockert und behördliche Kontrollen ausgesetzt wurden, um neue Bergbauprojekte zu erleichtern, wodurch sogar der Fluss Rímac verunreinigt wurde, der die Hauptstadt Lima mit Wasser versorgt.

Diese Umweltkrisen werden durch wachsende Ungleichheit und soziale Spaltungen in vielen bergbauabhängigen Ländern verschärft. Der Global Atlas of Environmental Justice hat weltweit mehr als 900 bergbaubedingte Konflikte dokumentiert, von denen rund 85 % die Nutzung oder Verschmutzung von Flüssen, Seen und Grundwasser betreffen. Vor diesem Hintergrund gestalten große Volkswirtschaften die geopolitische Ressourcenlandschaft rasch neu. Die USA versuchen zwar, die auf fossilen Brennstoffen basierende Weltwirtschaft zu stabilisieren, bemühen sich gleichzeitig aber auch darum, die Mineralien zu sichern, die sie für Elektrofahrzeuge, erneuerbare Energien, Waffensysteme, digitale Infrastruktur und den Bausektor benötigen – oft durch Zwang und aggressive Verhandlungstaktiken. In dem Bestreben, die Abhängigkeit von China zu verringern, das die Verarbeitung seltener Erden dominiert, werden Umwelt- und humanitäre Erwägungen zunehmend beiseitegeschoben. Auch Saudi-Arabien positioniert sich als aufstrebende Macht im Mineraliensektor im Rahmen seiner Bemühungen, die Wirtschaft über das Öl hinaus zu diversifizieren; das Königreich knüpft neue Partnerschaften – unter anderem mit den USA – und richtet eine hochkarätige Bergbaukonferenz aus. Zugleich untergräbt es den Fortschritt in anderen multilateralen Gremien, darunter der diesjährigen UN-Klimakonferenz in Brasilien (COP30) sowie den laufenden Vorverhandlungen der UN-Umweltversammlung (UNEA7).

In Europa drängen Industrieverbände auf weitere Deregulierung, während fossile Energiekonzerne wie ExxonMobil, TotalEnergies und Siemens irreführende Taktiken anwenden, um neu geschaffene Mechanismen auszuhebeln, die die Rechte von Gemeinschaften in rohstoffproduzierenden Regionen schützen sollen. Wir sollten besorgt sein, dass jene Unternehmen und Länder, die zur globalen Erwärmung, zur Umweltzerstörung und zu Menschenrechtsverletzungen beigetragen haben, nun den Mineraliensektor dominieren wollen. Ihnen dies zu ermöglichen, würde die gesamte Menschheit gefährden – nicht nur verletzliche Bevölkerungsgruppen.

Regierungen dürfen nicht tatenlos bleiben. Sie müssen die Verantwortung zurückgewinnen, den Hauptmotor der Ausweitung des Bergbaus zu steuern: die Nachfrage. Die Reduzierung des Materialverbrauchs, insbesondere in den Industrieländern, bleibt der wirksamste Weg, lebenswichtige Ökosysteme zu schützen und die langfristigen Schäden zu verhindern, die der Abbau unweigerlich verursacht.

Doch trotz überwältigender Belege dafür, dass eine Ausweitung der Rohstoffgewinnung die Wasserversorgung und die öffentliche Sicherheit bedroht, schwächen Regierungen weltweit Umweltschutzmaßnahmen, um ausländische Investitionen anzulocken – und gefährden damit gerade jene Ökosysteme, die alles Leben auf der Erde tragen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist dieser Ansatz zutiefst kurzsichtig.

Tatsächlich zeigt neue Forschung, dass verantwortungsvolle Praktiken nicht nur moralisch richtig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sind. Ein neuer Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, der auf fünf Jahren Daten von 235 multinationalen Unternehmen basiert, zeigt, dass Firmen mit stärkeren Menschenrechtsstandards langfristig tendenziell besser abschneiden. Regierungen sollten daher skeptisch sein gegenüber Behauptungen der Industrie, dass Rentabilität die Rücknahme von Umweltschutzvorschriften oder die Missachtung von Menschenrechten erfordere. Wenn Menschen ihren politischen Führungskräften nicht zutrauen können, ihre Rechte zu schützen, ist Widerstand sehr wahrscheinlich – und die daraus resultierenden sozialen Konflikte lassen Investitionen ins Stocken geraten. Die Gegenreaktion auf Rio Tintos Jadar-Lithiumprojekt in Serbien ist ein anschauliches Beispiel. Viele Serben waren der Ansicht, dass ihre Regierung Unternehmensinteressen Vorrang einräumte, indem sie ein Projekt vorantrieb, das nicht einmal grundlegende Nachhaltigkeitsstandards erfüllte. Der öffentliche Aufschrei stoppte die Entwicklung und brachte dem Unternehmen erhebliche Verluste ein.

Nur robuste Rechtsrahmen, die durch wirksame Durchsetzung gestützt werden, können die Voraussetzungen für eine stabile und rechtebasierte Entwicklung schaffen. Das bedeutet, die Rechte indigener Völker zu schützen; die freie, vorherige und informierte Zustimmung aller betroffenen Gemeinschaften sicherzustellen; Wasserressourcen zu schützen; räumliche Planung vorzunehmen und Sperrzonen festzulegen; sowie unabhängige, partizipative und transparente soziale und ökologische Folgenabschätzungen durchzuführen.

Angesichts der wachsenden geopolitischen Spannungen bleiben multilaterale Foren wie die COP und die UNEA unverzichtbar, um der globalen Fragmentierung entgegenzuwirken und gemeinsame Lösungen voranzubringen. Länder mit reichen Mineralvorkommen sollten zusammenarbeiten, um ihre Umweltstandards anzuheben – ähnlich wie ölproduzierende Länder gemeinsam die globalen Preise beeinflussen. Durch kollektives Handeln können sie ein zerstörerisches Rennen nach unten verhindern und sicherstellen, dass lokale Gemeinschaften, insbesondere indigene Völker und andere Rechteinhaber, Gehör finden.

In einer Zeit, in der sauberes Trinkwasser immer knapper wird, Gletscher schmelzen und die Landwirtschaft zunehmend bedroht ist, ist koordinierte internationale Zusammenarbeit nicht mehr optional. Die von Kolumbien und Oman für die UNEA im Dezember eingebrachte Resolution, die einen verbindlichen Mineralienträgervertrag fordert, stellt einen wichtigen Schritt hin zu gerechteren globalen Standards dar. Eingebracht von Kolumbien und mitgetragen von Ländern wie Sambia, die die Kosten extraktiver Industrien nur allzu gut kennen, fordert der Vorschlag Zusammenarbeit entlang der gesamten mineralischen Wertschöpfungskette, um Umweltschäden zu verringern und die Rechte indigener Völker sowie anderer betroffener Gemeinschaften zu schützen. Indem er ressourcenverbrauchende Länder in die Pflicht nimmt, soll verhindert werden, dass die Last der Reform allein auf mineralproduzierenden Volkswirtschaften liegt. Außerdem befasst er sich mit den Gefahren, die von Rückstandsdämmen und anderem Bergbauabfall ausgehen und die bereits zu verheerenden Einstürzen und Hunderten von Todesfällen geführt haben.

Zusammengenommen bieten diese Maßnahmen eine seltene Gelegenheit, die Ungleichheiten zu korrigieren, die die Rohstoffgewinnung seit Langem prägen. Alle Länder – insbesondere mineralproduzierende Staaten, die historisch vom Verhandlungstisch ausgeschlossen waren – sollten diese Chance nutzen. Die UNEA7 bietet ein Fenster für die Verwirklichung von Ressourcengerechtigkeit.

28/10/2025

Junge AutorInnen von Palestine Nexus in Gaza reflektieren über zwei Jahre Völkermord


Zachary Foster, Palestine Nexus, 16.10.2025

Übersetzt von Tlaxcala

Jaydaa Kamal, Dalal Sabbah, Hani Qarmoot und Rama Hussain AbuAmra (von links nach rechts)

Das palästinensische Volk in Gaza hat zwei Jahre des Völkermords überlebt. Und doch, trotz der andauernden Vertreibungen, der Hungerkampagne und der Massenmorde, weigerten sich Gazas junge AutorInnen zu schweigen. Sie berichteten über ihre ausgehungerten Körper, ihre Nahtoderfahrungen und den Kampf, Nahrung, Medizin, Wasser und Unterkunft zu finden. Sie reisen stundenlang, um eine Internetverbindung zu finden, schreiben mit leerem Magen, während sie ihre Familien unterstützen und anderen helfen, denen es noch schlechter geht. Sie riskieren täglich ihr Leben, um Palästinas Geschichten der Welt zu erzählen, und wir werden für immer ihre Tapferkeit und Widerstandskraft bewundern. Hier sind einige ihrer Reflexionen über die letzten zwei Jahre.
Dr. Zachary Foster, Gründer von Palestine Nexus

Hani Qarmoot, 22, Journalist und Geschichtenerzähler aus dem Lager Jabalia
„Während der zwei Jahre des Völkermords war jeder Tag geprägt von Hunger, Vertreibung, Blutvergießen und dem Klang von Explosionen. Um unserer eigenen Existenz willen, für das Fortbestehen unserer Geschichten und die Anerkennung unseres Leidens und unseres Lachens schreibe ich im Dunkeln. Obwohl ich Freunde, Kollegen, Lehrer und geliebte Menschen verloren habe, tragen mich ihre Erinnerungen weiter. Das Lachen eines Kindes, die Nachricht eines Freundes oder die Stille zwischen den Explosionen – all das gibt mir Leben. Schreiben ist ein stiller Akt des Widerstands, der zeigt, dass wir noch leben. Unsere Worte sind unser Schild, und unsere Stimme wird niemals verstummen.“
Hani Qarmoot

Rama Hussain AbuAmra, 23, Schriftstellerin und Übersetzerin aus Gaza-Stadt
„Ich kämpfe immer noch mit dem Glauben, dass dieser Völkermord vielleicht wirklich zu Ende geht. Zwei Jahre lang lebten wir in einem Albtraum, der jede Spur von Liebe, Sicherheit und Freude raubte. Uns wurden unsere Häuser, unsere Erinnerungen und die Menschen, die wir lieben, genommen. Jeder Moment war von Angst erfüllt – Angst, uns selbst zu verlieren, Angst, die zu verlieren, die wir lieben.
Eine Nacht verfolgt mich mehr als jede andere: die des 10. Oktober 2023. Um 1:30 Uhr kam ein Anruf, der uns warnte, unser Gebäude zu evakuieren, bevor es bombardiert und zu Schutt gemacht würde. Wie passt ein ganzes Leben in eine einzige Tasche? Meine Kindheit, meine Bücher, meine Lieblingskleider, die Ecke, die ich bei Sonnenauf- und -untergang liebte – alles blieb zurück. Wir rannten atemlos zu einem nahegelegenen Krankenhaus und warteten auf das Unbekannte. Dann kam das Getöse der Explosion, die unser Zuhause und unsere Herzen zerriss. Am nächsten Tag flohen wir nach Al-Zawaida im Süden von Gaza, nur um ein weiteres Grauen zu erleben: 25 Seelen aus einer einzigen Familie ausgelöscht. Rauch füllte unsere Lungen, Glas regnete herab, und Blut bedeckte den Boden. Ich sehe immer noch die Asche, die zerbrochenen Fenster, die verstreuten Gliedmaßen.
Wir haben überlebt, irgendwie. Aber die Narben bleiben. Und jetzt warten wir, nicht in Frieden, sondern in zerbrechlicher Hoffnung.“
Rama Hussain AbuAmra


Dalal Sabbah, 20, Studentin der englischen Übersetzung aus Rafah
„In den letzten zwei Jahren habe ich mich der Herausforderung gestellt, das Leben in Gaza zu dokumentieren, um sicherzustellen, dass unsere Geschichten die Welt jenseits der Trümmer und der Stille erreichen. Jeder Tag war eine Prüfung der Ausdauer, doch ich blieb standhaft, weil diese Geschichten es verdienen, erzählt zu werden.
Trotz wiederholter Vertreibung, Erschöpfung, ständiger Angst und der Nähe des Todes; trotz des Verlusts vieler Familienmitglieder musste ich weiterschreiben, um diese Momente festzuhalten und das Andenken an jene zu ehren, die wir verloren haben. Schreiben wurde mehr als ein Beruf; es wurde zu einem stillen Schrei aus dem Herzen an die Welt, ein Zeugnis von Leben, die dem Tod trotzen, und ein Beweis, dass unsere Stimmen nicht im Rauch und den Trümmern verschwinden werden.
Selbst wenn die Verzweiflung auf mir lastet, mache ich weiter. Ich schreibe, spreche, bezeuge, weil es meine Pflicht ist – gegenüber meinem Volk, meiner Heimat, Palästina.
Und was auch immer geschieht, Palästina ist frei, vom Fluss bis zum Meer.“
Dalal Sabbah

Khaled Al-Qershali, 22, freier Journalist aus Al-Nasser

„Obwohl der Völkermord der israelischen Besatzung beendet ist und ich überlebt habe, wird mir nichts von dem, was mir genommen wurde, jemals zurückgegeben werden. Ich habe zwei liebe Freunde verloren, Mohammed Hamo und Abdullah Al-Khaldi, zusammen mit meinem Zuhause und dem Leben, das ich vor dem 7. Oktober 2023 kannte.
Seit diesem Tag wurde das Leben, wie ich es kannte, zerstört. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von Vertreibung, Hunger, Angst und ständiger Verlust.
Ich hoffe, dass der Waffenstillstand hält, aber ich finde es schwer, daran zu glauben. Während des letzten Waffenstillstands im Januar kehrten mein Großvater und meine Onkel nach Gaza zurück, um ihr Leben aus den Trümmern wieder aufzubauen. Aber es war eine Falle: Der Völkermord begann erneut, und alles, was sie wieder aufgebaut hatten, war verloren.“
Khaled Al-Qershali

Ghaydaa Kamal, 23, Journalistin und Übersetzerin aus Khan Yunis
„Jede Geschichte, die ich schreibe, fühlt sich wie ein Überlebenskampf an. Ich habe aus den Ruinen geschrieben, aus Zelten, aus Orten, an denen Strom und Internet Wunder sind. Manchmal bin ich stundenlang unter der brennenden Sonne gelaufen, weil der Transport zu teuer war und weil Schweigen keine Option war.
Mein Laptop trägt den Staub meines zerstörten Hauses. Ich habe ihn nach einem Luftangriff unter den Trümmern hervorgezogen, mit zitternden Händen gereinigt und wiederbelebt. Er ist eingefroren, abgestürzt, hat mich oft im Stich gelassen, und doch überlebt er weiter, so wie ich.
Ich habe durch Hunger, Erschöpfung und Angst geschrieben und dokumentiert, was es bedeutet, unter ständigen Bombardierungen zu leben und zu arbeiten. Es gab Momente, in denen ich dem Tod um Minuten entkam.
Aber ich schreibe weiter, denn wenn ich aufhöre, werden sie gewinnen, nicht nur, indem sie uns töten, sondern indem sie unsere Geschichten auslöschen.“
Ghaydaa Kamal

 

  

26/10/2025

Lynchmeuten, Brandanschläge, Massaker an Viehherden: Das Westjordanland erlebt beispiellose israelische Gewalt

Jonathan Pollak, Haaretz, 25.10.2025
Übersetzt von  
Tlaxcala

Israelische Siedler-Milizen, unterstützt von Soldaten, verwüsten palästinensische Gemeinden: Sie prügeln Bewohner, stecken Felder in Brand, zerstören Autos, schlachten Tiere.
Jonathan Pollak, der palästinensische Bauern während der Olivenernte begleitet, berichtet, was er erlebt hat — und wie er dabei beinahe ums Leben kam.

Die Bäume des Südens tragen eine seltsame Frucht,
Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel,
Schwarze Körper schwingen in der Südbrise,
Seltsame Früchte hängen an den Pappeln.

Pastorale Szene des tapferen Südens,
Die hervortretenden Augen und der verdrehte Mund,
Der süße, frische Duft der Magnolien,
Dann plötzlich der Geruch verbrannten Fleisches.

Hier ist eine Frucht für die Krähen,
Für Regen, Wind und Sonne,
Bis die Bäume sie fallen lassen,
Hier ist eine seltsame und bittere Ernte.

„Strange Fruit“ von Abel Meeropol


Ein maskierter israelischer Pogromist schleudert mit einer Steinschleuder auf Olivenerntehelfer im Dorf Beita, Anfang des Monats. Für viele Bauern ist der wirtschaftliche Anreiz, die Ernte zu beenden, fast verschwunden – während die Lebensgefahr ständig zunimmt.
Foto: Jaafar Ashtiyeh / AFP

 Eine entfesselte Gewalt

Die vergangenen zwei Jahre waren eine Zeit ungebändigter israelischer Gewalt. Im Gazastreifen nahm sie monströse Ausmaße an, doch auch im Westjordanland litten die Palästinenser schwer darunter.
Jeder Ort hat seine eigene Form der Gewalt. Hier im Westjordanland wird sie gemeinsam von allen israelischen Kräften ausgeübt – Armee, Polizei, Grenzpolizei, Inlandsgeheimdienst Shin Bet, Gefängnisbehörde, Sicherheitskoordinatoren der Siedlungen und natürlich von Zivilisten.
Oft tragen diese Zivilisten Stöcke, Eisenstangen oder Steine, manche auch Schusswaffen. Milizen, die außerhalb des Gesetzes handeln, aber unter seinem Schutz.
Manchmal führen die Zivilisten den Angriff an, während das Militär ihnen Deckung gibt; manchmal ist es umgekehrt. Das Ergebnis ist immer dasselbe.

Seit Beginn der Olivenernte erreicht die israelische Gewalt im Westjordanland — planmäßig organisiert — neue Rekorde. Noch vor der Ernte wurde sie in Duma, Silwad, Nur Shams, Muʿarrajat, Kafr Malik und Mughayyir a-Deir entfesselt. Das ist das Schicksal der palästinensischen Dörfer, die sich selbst überlassen bleiben, angesichts der israelischen Bastionen ringsum.

 Tote und Pogrome

Mohammed al-Shalabi rannte um sein Leben, ohne zu wissen, dass er in den Tod rannte, als ein grauer Pickup voller bewaffneter Israelis ihn und zehn andere verfolgte. Seine Leiche wurde Stunden später gefunden – erschossen in den Rücken, gezeichnet von brutaler Gewalt.
Dasselbe geschah mit Saif a-Din Musallet, der zunächst fliehen konnte, dann zusammenbrach und starb. Er lag stundenlang bewusstlos da, während israelische Soldaten und Zivilisten die Hügel durchstreiften, auf der Jagd nach weiterer Beute. Es war der 11. Juli 2025, beim Pogrom von Jabal al-Baten, östlich von Ramallah.

Damals wusste ich noch nicht, dass sie tot waren, aber ich kannte die Todesangst. Stunden zuvor war eine Gruppe Israelis in al-Baten eingefallen, und junge Palästinenser aus den Nachbardörfern Sinjil und al-Mazra’a ash-Sharqiya waren losgezogen, um sie aufzuhalten. Anfangs hatten die Palästinenser die Oberhand, doch bald traf ein grauer Pickup mit bewaffneten Männern ein.

Israelische Zivilisten greifen während des Angriffs auf Beita am 10. Oktober Bauern, ihr Land und ihre Fahrzeuge an. Zwanzig Menschen wurden verletzt, einer davon durch Schüsse mit scharfer Munition. Foto Jaafar Ashtiyeh/AFP

Der Pickup raste auf die Palästinenser zu und erfasste einen von ihnen. Während ich half, den Verletzten zu tragen, mussten wir rennen — denn die Tage zuvor hatten gezeigt, was mit jenen geschieht, die nicht entkommen.
Wir schafften es nicht. Eine Gruppe maskierter Israelis, bewaffnet mit schwarzen Polizeiknüppeln, holte uns ein. Die Knüppel hoben sich und fielen immer wieder nieder – ins Gesicht, auf die Rippen, den Rücken, erneut ins Gesicht. Dazu Tritte, Schläge, Staub. Lange Minuten hemmungsloser Gewalt.
Mit geschwollenen Gesichtern und blauen Flecken waren es – wenig überraschend – wir, die verhaftet wurden, als die Soldaten kamen.

Die entweihte Ernte

Früher war die Olivenernte kein ständiger Reigen von Angriffen. Sie war ein fester Bestandteil des palästinensischen Lebens: ganze Familien, auch Frauen und Kinder, unter den Bäumen; Volkslieder, gemeinsames Kochen von qalayet bandora – Zwiebeln, Tomaten und Chilischoten – über offenem Feuer im Schatten der Olivenhaine.
Diese Ernte in ein Ritual der Angst und Wachsamkeit zu verwandeln, bedeutet mehr als bloße Vertreibung: Es ist ein Angriff auf die emotionale Bindung an das Land, ein Versuch kultureller Auslöschung, der auf Identitätsvernichtung zielt. Kein Zufall, dass dies an Formulierungen des Völkerrechts erinnert, die die Zerstörung eines Volkes beschreiben.

Der Angriff, bei dem Mohammed und Saif starben, war nur ein besonders grausames Glied in einer langen Kette von Pogromen. Ich habe längst aufgehört zu zählen, wie viele Beerdigungen ich in den letzten Monaten besucht habe.
Und als wäre die Gewalt nicht genug, kommt der Klimakollaps hinzu: Olivenbäume tragen ein Jahr reichlich, im nächsten kaum. Dieses Jahr war mager – kaum Regen, große Hitze, vertrocknete Bäume, abgefallene Früchte.
Viele Haine sind kahl, noch bevor man die entwurzelten Bäume mitzählt. Der wirtschaftliche Anreiz ist fast verschwunden, das Risiko des Todes steigt.

Palästinensische Bauern und Aktivisten bei der Olivenernte in der Nähe des Dorfes Turmus Ayya in diesem Monat. Eine breite Koalition hat sich mobilisiert, um die Bauern zu unterstützen. Foto Hazem Bader / AFP

 Widerstand: Die Kampagne Zeitun 2025

Trotz Repression und drohender Haft begann die Kampagne Zeitun 2025 („Olive 2025“): eine breite palästinensische Koalition, von der radikalen Linken bis zu Teilen der Fatah, zur Unterstützung der Bauern während der Ernte.
Aktivisten kartierten Risikogebiete und Bedürfnisse. Doch in der Nacht vor Beginn stürmten Dutzende Soldaten das Haus von Rabia Abu Naim, einem Koordinator der Kampagne, und steckten ihn in Verwaltungshaft – also ohne Verfahren.
Rabia stammt aus al-Mughayyir, östlich von Ramallah, einem Brennpunkt der Gewalt von Kolonisten und Armee. Dort wurden Mohammed und Saif getötet, dort riss das Militär 8.500 Bäume aus, und nachts zerstörten israelische Gruppen weitere Hunderte.

Manche möchten glauben, die Situation sei nicht so schlimm, dass „beide Seiten“ Gewalt anwenden, dass die Polizei ermittelt, dass es geheime Gründe für Rabias Haft gibt. Sie mögen weiter an Märchen glauben.

 Die Saison der Pogrome

Am ersten Tag der Ernte, vor zwei Wochen, fiel die Gewalt wie ein Wolkenbruch.
In Jurish wurden Erntehelfer von Israelis mit Knüppeln angegriffen. In Duma, wo 2015 die Familie Dawabsheh ermordet wurde, verweigerten Soldaten den Zugang zu den Feldern.
In Kafr Thulth schlachteten Siedler Ziegen. In Far
ʿata schossen sie mit scharfer Munition auf Bauern, während Soldaten tatenlos zusahen. In Kobar, dem Heimatdorf des inhaftierten palästinensischen Führers Marwan Barghouti, verhafteten Soldaten Bauern auf ihrem eigenen Land.

Rabia Abu Naim, fotografiert von einem Soldaten. Am Vorabend der Olivenernte stürmte die Armee sein Haus und nahm ihn in Verwaltungshaft. Foto Avishay Mohar / Activestills

Am schlimmsten war es in Beita, südlich von Nablus. Am Freitag, dem 10. Oktober, begaben sich etwa 150 Erntehelfer in Olivenhaine nahe eines neuen Außenpostens. Eine kombinierte Truppe aus Soldaten und Zivilisten griff sie an: Schläge, Schüsse, Brände.
Zwanzig Verletzte, einer durch scharfe Munition. Drei Journalisten wurden attackiert: Jaafar Ashtiya, dessen Auto niedergebrannt wurde; Wahaj Bani Moufleh, dem ein Tränengasgeschoss das Bein brach; und Sajah al-Alami.
Acht Fahrzeuge verbrannt, ein Krankenwagen umgestoßen.

Armee und Siedler – eine Front

In den folgenden Tagen kam es zu Dutzenden weiterer Angriffe in Burqa, al-Mughayyir, Lubban al-Sharqiya, Turmus Ayya.
Die Armee schaut nicht nur zu: Sie begleitet die Angreifer, ignoriert Vorfälle oder greift selbst ein.
In Burin erklärte sie das ganze Dorf zur „geschlossenen Militärzone“, verbot den Bewohnern den Zugang und verhaftete 32 solidarische Aktivisten, die einfach in einem Wohnzimmer saßen.

Am 17. Oktober griffen in Silwad Gruppen von Israelis über Stunden hinweg Erntehelfer an, zerstörten Ambulanzen, stahlen Fahrzeuge.
Ein grauer Pickup – immer derselbe – erschien, beladen mit bewaffneten Jugendlichen, die das Gebiet als „Militärzone“ erklärten. Später traf das Militär ein, vertrieb die Bauern – aber nicht die Eindringlinge.
Ich war dort.
Auf der Rückfahrt wurden wir auf einer schmalen, kurvigen Straße an einer Klippe von einem Auto junger Israelis verfolgt. Die Bilder des Pogroms von Jabal al-Baten kamen mir wieder in den Sinn.
Wir entkamen knapp.


Soldaten hindern Palästinenser aus dem Dorf Kobar in der Nähe von Ramallah daran, Oliven zu ernten. Bewohner, die auf ihrem eigenen Land arbeiteten, wurden von den israelischen Streitkfräften festgenommen. Foto Hazem Bader / AFP

 

Und es geht weiter

Hunderte Vorfälle, große und kleine, reihen sich aneinander.
In Turmus Ayya schlugen maskierte Männer einer alten Frau auf den Kopf – sie erlitt eine Hirnblutung und liegt im Krankenhaus von Ramallah. Zwei Aktivisten wurden verletzt, fünf Autos verbrannt.
Und die Ernte ist erst halb vorbei. Die Angriffe werden weitergehen, und darüber hinaus.

Doch dies ist nicht nur eine Geschichte von Gewalt und Enteignung. Es ist auch eine Geschichte des palästinensischen Widerstands, ihrer Bindung an das Land und ihres unbeugsamen Willens, nicht aufzugeben.
Rabia, der inhaftierte Koordinator der Kampagne Zeitoun 2025, hatte es vor seiner Verhaftung gesagt:

„Wenn die Olivenbäume des Dorfes verschwinden, werden wir die Eichen ernten.
Und wenn keine Eicheln mehr da sind, werden wir die Blätter pflücken.“