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28/10/2025

Junge AutorInnen von Palestine Nexus in Gaza reflektieren über zwei Jahre Völkermord


Zachary Foster, Palestine Nexus, 16.10.2025

Übersetzt von Tlaxcala

Jaydaa Kamal, Dalal Sabbah, Hani Qarmoot und Rama Hussain AbuAmra (von links nach rechts)

Das palästinensische Volk in Gaza hat zwei Jahre des Völkermords überlebt. Und doch, trotz der andauernden Vertreibungen, der Hungerkampagne und der Massenmorde, weigerten sich Gazas junge AutorInnen zu schweigen. Sie berichteten über ihre ausgehungerten Körper, ihre Nahtoderfahrungen und den Kampf, Nahrung, Medizin, Wasser und Unterkunft zu finden. Sie reisen stundenlang, um eine Internetverbindung zu finden, schreiben mit leerem Magen, während sie ihre Familien unterstützen und anderen helfen, denen es noch schlechter geht. Sie riskieren täglich ihr Leben, um Palästinas Geschichten der Welt zu erzählen, und wir werden für immer ihre Tapferkeit und Widerstandskraft bewundern. Hier sind einige ihrer Reflexionen über die letzten zwei Jahre.
Dr. Zachary Foster, Gründer von Palestine Nexus

Hani Qarmoot, 22, Journalist und Geschichtenerzähler aus dem Lager Jabalia
„Während der zwei Jahre des Völkermords war jeder Tag geprägt von Hunger, Vertreibung, Blutvergießen und dem Klang von Explosionen. Um unserer eigenen Existenz willen, für das Fortbestehen unserer Geschichten und die Anerkennung unseres Leidens und unseres Lachens schreibe ich im Dunkeln. Obwohl ich Freunde, Kollegen, Lehrer und geliebte Menschen verloren habe, tragen mich ihre Erinnerungen weiter. Das Lachen eines Kindes, die Nachricht eines Freundes oder die Stille zwischen den Explosionen – all das gibt mir Leben. Schreiben ist ein stiller Akt des Widerstands, der zeigt, dass wir noch leben. Unsere Worte sind unser Schild, und unsere Stimme wird niemals verstummen.“
Hani Qarmoot

Rama Hussain AbuAmra, 23, Schriftstellerin und Übersetzerin aus Gaza-Stadt
„Ich kämpfe immer noch mit dem Glauben, dass dieser Völkermord vielleicht wirklich zu Ende geht. Zwei Jahre lang lebten wir in einem Albtraum, der jede Spur von Liebe, Sicherheit und Freude raubte. Uns wurden unsere Häuser, unsere Erinnerungen und die Menschen, die wir lieben, genommen. Jeder Moment war von Angst erfüllt – Angst, uns selbst zu verlieren, Angst, die zu verlieren, die wir lieben.
Eine Nacht verfolgt mich mehr als jede andere: die des 10. Oktober 2023. Um 1:30 Uhr kam ein Anruf, der uns warnte, unser Gebäude zu evakuieren, bevor es bombardiert und zu Schutt gemacht würde. Wie passt ein ganzes Leben in eine einzige Tasche? Meine Kindheit, meine Bücher, meine Lieblingskleider, die Ecke, die ich bei Sonnenauf- und -untergang liebte – alles blieb zurück. Wir rannten atemlos zu einem nahegelegenen Krankenhaus und warteten auf das Unbekannte. Dann kam das Getöse der Explosion, die unser Zuhause und unsere Herzen zerriss. Am nächsten Tag flohen wir nach Al-Zawaida im Süden von Gaza, nur um ein weiteres Grauen zu erleben: 25 Seelen aus einer einzigen Familie ausgelöscht. Rauch füllte unsere Lungen, Glas regnete herab, und Blut bedeckte den Boden. Ich sehe immer noch die Asche, die zerbrochenen Fenster, die verstreuten Gliedmaßen.
Wir haben überlebt, irgendwie. Aber die Narben bleiben. Und jetzt warten wir, nicht in Frieden, sondern in zerbrechlicher Hoffnung.“
Rama Hussain AbuAmra


Dalal Sabbah, 20, Studentin der englischen Übersetzung aus Rafah
„In den letzten zwei Jahren habe ich mich der Herausforderung gestellt, das Leben in Gaza zu dokumentieren, um sicherzustellen, dass unsere Geschichten die Welt jenseits der Trümmer und der Stille erreichen. Jeder Tag war eine Prüfung der Ausdauer, doch ich blieb standhaft, weil diese Geschichten es verdienen, erzählt zu werden.
Trotz wiederholter Vertreibung, Erschöpfung, ständiger Angst und der Nähe des Todes; trotz des Verlusts vieler Familienmitglieder musste ich weiterschreiben, um diese Momente festzuhalten und das Andenken an jene zu ehren, die wir verloren haben. Schreiben wurde mehr als ein Beruf; es wurde zu einem stillen Schrei aus dem Herzen an die Welt, ein Zeugnis von Leben, die dem Tod trotzen, und ein Beweis, dass unsere Stimmen nicht im Rauch und den Trümmern verschwinden werden.
Selbst wenn die Verzweiflung auf mir lastet, mache ich weiter. Ich schreibe, spreche, bezeuge, weil es meine Pflicht ist – gegenüber meinem Volk, meiner Heimat, Palästina.
Und was auch immer geschieht, Palästina ist frei, vom Fluss bis zum Meer.“
Dalal Sabbah

Khaled Al-Qershali, 22, freier Journalist aus Al-Nasser

„Obwohl der Völkermord der israelischen Besatzung beendet ist und ich überlebt habe, wird mir nichts von dem, was mir genommen wurde, jemals zurückgegeben werden. Ich habe zwei liebe Freunde verloren, Mohammed Hamo und Abdullah Al-Khaldi, zusammen mit meinem Zuhause und dem Leben, das ich vor dem 7. Oktober 2023 kannte.
Seit diesem Tag wurde das Leben, wie ich es kannte, zerstört. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von Vertreibung, Hunger, Angst und ständiger Verlust.
Ich hoffe, dass der Waffenstillstand hält, aber ich finde es schwer, daran zu glauben. Während des letzten Waffenstillstands im Januar kehrten mein Großvater und meine Onkel nach Gaza zurück, um ihr Leben aus den Trümmern wieder aufzubauen. Aber es war eine Falle: Der Völkermord begann erneut, und alles, was sie wieder aufgebaut hatten, war verloren.“
Khaled Al-Qershali

Ghaydaa Kamal, 23, Journalistin und Übersetzerin aus Khan Yunis
„Jede Geschichte, die ich schreibe, fühlt sich wie ein Überlebenskampf an. Ich habe aus den Ruinen geschrieben, aus Zelten, aus Orten, an denen Strom und Internet Wunder sind. Manchmal bin ich stundenlang unter der brennenden Sonne gelaufen, weil der Transport zu teuer war und weil Schweigen keine Option war.
Mein Laptop trägt den Staub meines zerstörten Hauses. Ich habe ihn nach einem Luftangriff unter den Trümmern hervorgezogen, mit zitternden Händen gereinigt und wiederbelebt. Er ist eingefroren, abgestürzt, hat mich oft im Stich gelassen, und doch überlebt er weiter, so wie ich.
Ich habe durch Hunger, Erschöpfung und Angst geschrieben und dokumentiert, was es bedeutet, unter ständigen Bombardierungen zu leben und zu arbeiten. Es gab Momente, in denen ich dem Tod um Minuten entkam.
Aber ich schreibe weiter, denn wenn ich aufhöre, werden sie gewinnen, nicht nur, indem sie uns töten, sondern indem sie unsere Geschichten auslöschen.“
Ghaydaa Kamal

 

  

26/10/2025

Lynchmeuten, Brandanschläge, Massaker an Viehherden: Das Westjordanland erlebt beispiellose israelische Gewalt

Jonathan Pollak, Haaretz, 25.10.2025
Übersetzt von  
Tlaxcala

Israelische Siedler-Milizen, unterstützt von Soldaten, verwüsten palästinensische Gemeinden: Sie prügeln Bewohner, stecken Felder in Brand, zerstören Autos, schlachten Tiere.
Jonathan Pollak, der palästinensische Bauern während der Olivenernte begleitet, berichtet, was er erlebt hat — und wie er dabei beinahe ums Leben kam.

Die Bäume des Südens tragen eine seltsame Frucht,
Blut auf den Blättern und Blut an der Wurzel,
Schwarze Körper schwingen in der Südbrise,
Seltsame Früchte hängen an den Pappeln.

Pastorale Szene des tapferen Südens,
Die hervortretenden Augen und der verdrehte Mund,
Der süße, frische Duft der Magnolien,
Dann plötzlich der Geruch verbrannten Fleisches.

Hier ist eine Frucht für die Krähen,
Für Regen, Wind und Sonne,
Bis die Bäume sie fallen lassen,
Hier ist eine seltsame und bittere Ernte.

„Strange Fruit“ von Abel Meeropol


Ein maskierter israelischer Pogromist schleudert mit einer Steinschleuder auf Olivenerntehelfer im Dorf Beita, Anfang des Monats. Für viele Bauern ist der wirtschaftliche Anreiz, die Ernte zu beenden, fast verschwunden – während die Lebensgefahr ständig zunimmt.
Foto: Jaafar Ashtiyeh / AFP

 Eine entfesselte Gewalt

Die vergangenen zwei Jahre waren eine Zeit ungebändigter israelischer Gewalt. Im Gazastreifen nahm sie monströse Ausmaße an, doch auch im Westjordanland litten die Palästinenser schwer darunter.
Jeder Ort hat seine eigene Form der Gewalt. Hier im Westjordanland wird sie gemeinsam von allen israelischen Kräften ausgeübt – Armee, Polizei, Grenzpolizei, Inlandsgeheimdienst Shin Bet, Gefängnisbehörde, Sicherheitskoordinatoren der Siedlungen und natürlich von Zivilisten.
Oft tragen diese Zivilisten Stöcke, Eisenstangen oder Steine, manche auch Schusswaffen. Milizen, die außerhalb des Gesetzes handeln, aber unter seinem Schutz.
Manchmal führen die Zivilisten den Angriff an, während das Militär ihnen Deckung gibt; manchmal ist es umgekehrt. Das Ergebnis ist immer dasselbe.

Seit Beginn der Olivenernte erreicht die israelische Gewalt im Westjordanland — planmäßig organisiert — neue Rekorde. Noch vor der Ernte wurde sie in Duma, Silwad, Nur Shams, Muʿarrajat, Kafr Malik und Mughayyir a-Deir entfesselt. Das ist das Schicksal der palästinensischen Dörfer, die sich selbst überlassen bleiben, angesichts der israelischen Bastionen ringsum.

 Tote und Pogrome

Mohammed al-Shalabi rannte um sein Leben, ohne zu wissen, dass er in den Tod rannte, als ein grauer Pickup voller bewaffneter Israelis ihn und zehn andere verfolgte. Seine Leiche wurde Stunden später gefunden – erschossen in den Rücken, gezeichnet von brutaler Gewalt.
Dasselbe geschah mit Saif a-Din Musallet, der zunächst fliehen konnte, dann zusammenbrach und starb. Er lag stundenlang bewusstlos da, während israelische Soldaten und Zivilisten die Hügel durchstreiften, auf der Jagd nach weiterer Beute. Es war der 11. Juli 2025, beim Pogrom von Jabal al-Baten, östlich von Ramallah.

Damals wusste ich noch nicht, dass sie tot waren, aber ich kannte die Todesangst. Stunden zuvor war eine Gruppe Israelis in al-Baten eingefallen, und junge Palästinenser aus den Nachbardörfern Sinjil und al-Mazra’a ash-Sharqiya waren losgezogen, um sie aufzuhalten. Anfangs hatten die Palästinenser die Oberhand, doch bald traf ein grauer Pickup mit bewaffneten Männern ein.

Israelische Zivilisten greifen während des Angriffs auf Beita am 10. Oktober Bauern, ihr Land und ihre Fahrzeuge an. Zwanzig Menschen wurden verletzt, einer davon durch Schüsse mit scharfer Munition. Foto Jaafar Ashtiyeh/AFP

Der Pickup raste auf die Palästinenser zu und erfasste einen von ihnen. Während ich half, den Verletzten zu tragen, mussten wir rennen — denn die Tage zuvor hatten gezeigt, was mit jenen geschieht, die nicht entkommen.
Wir schafften es nicht. Eine Gruppe maskierter Israelis, bewaffnet mit schwarzen Polizeiknüppeln, holte uns ein. Die Knüppel hoben sich und fielen immer wieder nieder – ins Gesicht, auf die Rippen, den Rücken, erneut ins Gesicht. Dazu Tritte, Schläge, Staub. Lange Minuten hemmungsloser Gewalt.
Mit geschwollenen Gesichtern und blauen Flecken waren es – wenig überraschend – wir, die verhaftet wurden, als die Soldaten kamen.

Die entweihte Ernte

Früher war die Olivenernte kein ständiger Reigen von Angriffen. Sie war ein fester Bestandteil des palästinensischen Lebens: ganze Familien, auch Frauen und Kinder, unter den Bäumen; Volkslieder, gemeinsames Kochen von qalayet bandora – Zwiebeln, Tomaten und Chilischoten – über offenem Feuer im Schatten der Olivenhaine.
Diese Ernte in ein Ritual der Angst und Wachsamkeit zu verwandeln, bedeutet mehr als bloße Vertreibung: Es ist ein Angriff auf die emotionale Bindung an das Land, ein Versuch kultureller Auslöschung, der auf Identitätsvernichtung zielt. Kein Zufall, dass dies an Formulierungen des Völkerrechts erinnert, die die Zerstörung eines Volkes beschreiben.

Der Angriff, bei dem Mohammed und Saif starben, war nur ein besonders grausames Glied in einer langen Kette von Pogromen. Ich habe längst aufgehört zu zählen, wie viele Beerdigungen ich in den letzten Monaten besucht habe.
Und als wäre die Gewalt nicht genug, kommt der Klimakollaps hinzu: Olivenbäume tragen ein Jahr reichlich, im nächsten kaum. Dieses Jahr war mager – kaum Regen, große Hitze, vertrocknete Bäume, abgefallene Früchte.
Viele Haine sind kahl, noch bevor man die entwurzelten Bäume mitzählt. Der wirtschaftliche Anreiz ist fast verschwunden, das Risiko des Todes steigt.

Palästinensische Bauern und Aktivisten bei der Olivenernte in der Nähe des Dorfes Turmus Ayya in diesem Monat. Eine breite Koalition hat sich mobilisiert, um die Bauern zu unterstützen. Foto Hazem Bader / AFP

 Widerstand: Die Kampagne Zeitun 2025

Trotz Repression und drohender Haft begann die Kampagne Zeitun 2025 („Olive 2025“): eine breite palästinensische Koalition, von der radikalen Linken bis zu Teilen der Fatah, zur Unterstützung der Bauern während der Ernte.
Aktivisten kartierten Risikogebiete und Bedürfnisse. Doch in der Nacht vor Beginn stürmten Dutzende Soldaten das Haus von Rabia Abu Naim, einem Koordinator der Kampagne, und steckten ihn in Verwaltungshaft – also ohne Verfahren.
Rabia stammt aus al-Mughayyir, östlich von Ramallah, einem Brennpunkt der Gewalt von Kolonisten und Armee. Dort wurden Mohammed und Saif getötet, dort riss das Militär 8.500 Bäume aus, und nachts zerstörten israelische Gruppen weitere Hunderte.

Manche möchten glauben, die Situation sei nicht so schlimm, dass „beide Seiten“ Gewalt anwenden, dass die Polizei ermittelt, dass es geheime Gründe für Rabias Haft gibt. Sie mögen weiter an Märchen glauben.

 Die Saison der Pogrome

Am ersten Tag der Ernte, vor zwei Wochen, fiel die Gewalt wie ein Wolkenbruch.
In Jurish wurden Erntehelfer von Israelis mit Knüppeln angegriffen. In Duma, wo 2015 die Familie Dawabsheh ermordet wurde, verweigerten Soldaten den Zugang zu den Feldern.
In Kafr Thulth schlachteten Siedler Ziegen. In Far
ʿata schossen sie mit scharfer Munition auf Bauern, während Soldaten tatenlos zusahen. In Kobar, dem Heimatdorf des inhaftierten palästinensischen Führers Marwan Barghouti, verhafteten Soldaten Bauern auf ihrem eigenen Land.

Rabia Abu Naim, fotografiert von einem Soldaten. Am Vorabend der Olivenernte stürmte die Armee sein Haus und nahm ihn in Verwaltungshaft. Foto Avishay Mohar / Activestills

Am schlimmsten war es in Beita, südlich von Nablus. Am Freitag, dem 10. Oktober, begaben sich etwa 150 Erntehelfer in Olivenhaine nahe eines neuen Außenpostens. Eine kombinierte Truppe aus Soldaten und Zivilisten griff sie an: Schläge, Schüsse, Brände.
Zwanzig Verletzte, einer durch scharfe Munition. Drei Journalisten wurden attackiert: Jaafar Ashtiya, dessen Auto niedergebrannt wurde; Wahaj Bani Moufleh, dem ein Tränengasgeschoss das Bein brach; und Sajah al-Alami.
Acht Fahrzeuge verbrannt, ein Krankenwagen umgestoßen.

Armee und Siedler – eine Front

In den folgenden Tagen kam es zu Dutzenden weiterer Angriffe in Burqa, al-Mughayyir, Lubban al-Sharqiya, Turmus Ayya.
Die Armee schaut nicht nur zu: Sie begleitet die Angreifer, ignoriert Vorfälle oder greift selbst ein.
In Burin erklärte sie das ganze Dorf zur „geschlossenen Militärzone“, verbot den Bewohnern den Zugang und verhaftete 32 solidarische Aktivisten, die einfach in einem Wohnzimmer saßen.

Am 17. Oktober griffen in Silwad Gruppen von Israelis über Stunden hinweg Erntehelfer an, zerstörten Ambulanzen, stahlen Fahrzeuge.
Ein grauer Pickup – immer derselbe – erschien, beladen mit bewaffneten Jugendlichen, die das Gebiet als „Militärzone“ erklärten. Später traf das Militär ein, vertrieb die Bauern – aber nicht die Eindringlinge.
Ich war dort.
Auf der Rückfahrt wurden wir auf einer schmalen, kurvigen Straße an einer Klippe von einem Auto junger Israelis verfolgt. Die Bilder des Pogroms von Jabal al-Baten kamen mir wieder in den Sinn.
Wir entkamen knapp.


Soldaten hindern Palästinenser aus dem Dorf Kobar in der Nähe von Ramallah daran, Oliven zu ernten. Bewohner, die auf ihrem eigenen Land arbeiteten, wurden von den israelischen Streitkfräften festgenommen. Foto Hazem Bader / AFP

 

Und es geht weiter

Hunderte Vorfälle, große und kleine, reihen sich aneinander.
In Turmus Ayya schlugen maskierte Männer einer alten Frau auf den Kopf – sie erlitt eine Hirnblutung und liegt im Krankenhaus von Ramallah. Zwei Aktivisten wurden verletzt, fünf Autos verbrannt.
Und die Ernte ist erst halb vorbei. Die Angriffe werden weitergehen, und darüber hinaus.

Doch dies ist nicht nur eine Geschichte von Gewalt und Enteignung. Es ist auch eine Geschichte des palästinensischen Widerstands, ihrer Bindung an das Land und ihres unbeugsamen Willens, nicht aufzugeben.
Rabia, der inhaftierte Koordinator der Kampagne Zeitoun 2025, hatte es vor seiner Verhaftung gesagt:

„Wenn die Olivenbäume des Dorfes verschwinden, werden wir die Eichen ernten.
Und wenn keine Eicheln mehr da sind, werden wir die Blätter pflücken.“

23/10/2025

Israels Regierung rühmt sich des Sadismus, des Missbrauchs und der Folter

Gideon Levy, Haaretz, 23.10.2025
Übersetzt von Tlaxcala

Anm. d. Übers.: Da wir es satthaben, dass das Wort „Geiseln” zur Bezeichnung der am 7. Oktober gefangengenommenen Israelis ständig verwendet und missbraucht wird, haben wir uns entschieden, diesen Begriff durch „Entführte” zu ersetzen.

Die Rückkehr der Entführten  hat die allen bekannte Wahrheit offenbart: Israels schlechte Behandlung palästinensischer Gefangener verschlimmerte die Bedingungen der in Gaza festgehaltenen Israelis. Es ist nun klar, dass das Böse seinen Preis hatte.

Nadav Eyal berichtete am Mittwoch in Yediot Aharonot, dass der Sicherheitsdienst Schin Bet bereits Ende 2024 gewarnt habe, dass die Äußerungen des Ministers für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir die bereits schrecklichen Bedingungen, denen die Entführten  ausgesetzt waren, verschärften — und niemand habe sich darum gekümmert.


Palästinensische Gefangene, die auf ihre Freilassung im Gefängnis Ofer warten. Bild: Tali Meir

Jedes Mal, wenn Ben-Gvir sich mit den Misshandlungen brüstete, die er anordnete — über die sich der Journalist Yossi Eli in seinen sadistischen Reportagen auf Channel 13 über die Vorgänge in israelischen Gefängnissen ergötzte —, kam die Vergeltung aus den Tunneln.

„Wir werden kämpfen“: Kann die israelische Filmindustrie Boykotten und der Regierung Netanjahu standhalten?
Es ist unangenehm, israelisches Unrecht einzugestehen. Aber warum mussten wir zuerst von der Vergeltung der palästinensischen Entführer erfahren, um über die Bosheit der israelischen Entführer entsetzt zu sein? Was im Gefängnis Sde Teiman geschah (und weiterhin geschieht), war eine Schande, unabhängig vom furchtbaren Leiden, das es den Entführten  zufügte.


Der Eingang zur Militärbasis und Haftanstalt Sde Teiman. Bild: Eliyahu Hershkovitz

Es ist beschämend, dass der Missbrauch der Entführten  nötig war, um Empörung über Israels Behandlung seiner palästinensischen Gefangenen auszulösen, einschließlich der Schlagzeile von Yediot Aharonot am Mittwoch, die sich bisher kaum dafür interessiert hatte, was Israel tut.

Die britische Zeitung The Guardian berichtete diese Woche, dass mindestens 135 verstümmelte und zerstückelte Leichen nach Gaza zurückgebracht wurden. Neben jedem der verstümmelten Leichen fanden sich Zettel, die darauf hinwiesen, dass sie in Sde Teiman festgehalten worden waren. Auf vielen der Bilder war zu sehen, dass ihre Hände auf dem Rücken gebunden waren.

Nicht wenige wiesen Anzeichen von Folter auf, darunter Tod durch Erwürgen, von einem Panzer überfahren zu werden und andere Mittel. Es ist unklar, wie viele nach ihrer Festnahme getötet wurden. Sde Teiman war ein Sammelpunkt für Palästinenser, die an anderen Orten getötet wurden.

Der Palästinensische Gefangenenclub berichtet, dass etwa 80 palästinensische Häftlinge, die im Gefängnis getötet wurden, die Wahrheit unterschätzt haben könnten. The Guardian sah nur einige der Leichen und bestätigte die Anzeichen von Misshandlungen, sagte aber, sie könnten aufgrund ihres Zustands nicht veröffentlicht werden. Der Körper des 34-jährigen Mahmoud Shabat wies Anzeichen auf, dass er aufgehängt worden war. Seine Beine waren von einem Panzer zerdrückt worden, und seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. „Wo ist die Welt?“ fragte seine Mutter.

Die Lage der lebenden Palästinenser, die freigelassen wurden, ist kaum besser. Viele konnten bei ihrer Freilassung kaum stehen, ein Fakt, der in den israelischen Medien kaum behandelt wurde.

Dr. Ahmed Muhanna, Direktor des Al-Awda-Krankenhauses in Jabaliya, der im Dezember 2023 weggebracht und während des Waffenstillstands freigelassen worden war, sagte diese Woche, er sei während seiner Inhaftierung von Ort zu Ort gebracht worden, darunter an einen Ort, den er als „Zwinger“ bezeichnete, wo Soldaten ihn mit furchterregenden Hunden misshandelten.

Das abgemagerte Erscheinungsbild des Arztes ließ keinen Zweifel an den Bedingungen seiner Haft. Israel hält 19 weitere Ärzte aus Gaza unter ähnlichen Bedingungen fest.

Wir sollten uns an die Bedingungen erinnern, unter denen Adolf Eichmann festgehalten wurde. Niemand misshandelte ihn körperlich, bevor er auf richterliche Anordnung hingerichtet wurde.

Freigelassene palästinensische Gefangene tragen Gewehre, als sie nach ihrer Freilassung aus israelischen Gefängnissen in den Gazastreifen zurückkehren, nach einer Waffenstillstandsvereinbarung zwischen der Hamas und Israel, vor dem Nasser-Krankenhaus in Khan Younis im Süden des Gazastreifens im Oktober. Bild: Abdel Kareem Hana, AP

Damals prahlte Israel mit den Bedingungen seiner Haft. Heute rühmt sich die Regierung des Sadismus, des Missbrauchs und der Folter. Sie tut dies, weil sie die Seelen ihrer Bürger kennt. Die Mehrheit der Israelis ist rachsüchtig und billigt den Missbrauch.

Mit Ausnahme von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, B’Tselem und dem Komitee gegen Folter hat sich kaum jemand gegen das, was geschah, ausgesprochen. Für Nukhba-Terroristen ist alles erlaubt.

Die Definition dessen, wer dazugehört, umfasst alle, die es wagten, am 7. Oktober nach Israel einzudringen. Der Journalist Ben Caspit sagte diese Woche, alle Nukhba-Kämpfer sollten hingerichtet werden. Es scheint, dass Schin Bet, der israelische Gefängnisdienst und die israelischen Verteidigungsstreitkräfte die Arbeit bereits ernsthaft begonnen haben.

Israels einzige Sorge gilt dem Schaden, der den Entführten  zugefügt wurde. Alles andere wird vergeben. In vielen Fällen freuen wir uns sogar, schätzen und befürworten den Missbrauch. Wir wollten Sadismus; wir bekamen Sadismus.

22/10/2025

Extremadura mit Palästina: Demonstration gegen die Rheinmetall-Todesfabrik, am 25. Oktober
Informationsdossier


Inhaltsverzeichnis

1.    

1. Aufruf vom 25. Oktober gegen die Wiederaufrüstung Spaniens und Todesfabriken wie Rheinmetall: Stoppt den Völkermord!

2.     Karten

3.     Rheinmetall: Eine Erfolgsgeschichte des Todeshandels, von José Luis Ybot

4.     Erklärung zur Demonstration für Palästina, 6. Oktober 2024, Navalmoral de la Mata

5.     Fotos

6.     El Gordo, das Dorf in Extremadura, das vom Verkauf von Waffen an die Ukraine oder Israel lebt, von Luis Velasco San Pedro


 

20/10/2025

Israel zwischen Vernichtungs- und Wahlkampfkrieg

Ameer Makhoul, Progress Center for Policies, 18.10.2025

إسرائيل بين حرب الإبادة وحرب الانتخابات

Übersetzt von Tlaxcala

Krieg auf allen Fronten, von Patrick Chappatte

Einleitung

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz haben erneut damit gedroht, den Krieg gegen den Gazastreifen wieder aufzunehmen, und mit dem Einsatz von Gewalt gedroht, falls die Hamas die Leichen der israelischen Gefangenen und Häftlinge nicht herausgibt.
Gleichzeitig hat der Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, seine Kontakte zur Trump-Regierung intensiviert und Geheimdienstberichte vorgelegt, die behaupten, Hamas könne eine große Zahl von Leichen zurückgeben, ein Schritt, der als Vorbereitung auf ein US-amerikanisches grünes Licht für eine erneute militärische Eskalation gilt.

In der Zwischenzeit veröffentlichte das Forum der Familien der Gefangenen und Häftlinge einen öffentlichen Appell an Netanjahu und forderte die Wiederaufnahme des Krieges, solange nicht alle Leichen zurückgegeben seien, wodurch eine humanitäre Forderung zu einem politischen Instrument im innerisraelischen Machtkampf wurde.

Krieg im Dienst der Innenpolitik
Israels neue Kriegsdrohungen scheinen eher durch politische und wahlstrategische Bedürfnisse als durch unmittelbare militärische Ziele motiviert zu sein. Netanjahu und Katz haben den Krieg gegen Gaza sogar umbenannt: von „Goldene Schwerter“ zu „Krieg der Wiedergeburt“ oder „Krieg der Erneuerung“. Damit versuchen sie, die israelische Erzählung umzudeuten und ihn als Teil eines „Kriegs der sieben Fronten“ darzustellen:  Libanon, Syrien, Jemen, Irak, Iran, Westjordanland und Gaza.

Durch diesen Markenwechsel versucht Netanjahu, Forderungen nach Rechenschaft über die Ereignisse vom 7. Oktober 2023 abzuwehren,  insbesondere die Einrichtung einer offiziellen Untersuchungskommission, die er weiterhin mit der Begründung ablehnt, „Untersuchungen seien während des Krieges nicht möglich“. Diese Strategie steht in engem Zusammenhang mit den für den Sommer 2026 erwarteten Wahlen.

Lücken im Trump-Plan und regionale Auswirkungen
Israels Drohungen fallen mit den anhaltenden Debatten über die Details des sogenannten „Trump-Plans“ zur Beendigung des Krieges zusammen, ein Plan, den das ägyptische Außenministerium als „voller Schlupflöcher“ bezeichnete. Zu den ungelösten Punkten gehören:

  • Austausch von Leichen und Gefangenen,
  • Entwaffnung von Gaza und der Hamas,
  • Schrittweiser israelischer Rückzug,
  • Verwaltung und Wiederaufbau nach dem Krieg.

Palästinensische Schätzungen beziffern die Kosten für den Wiederaufbau Gazas auf 60 bis 70 Milliarden Dollar. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sollen jeweils etwa 20 Milliarden beisteuern wollen, allerdings unter der Bedingung von Stabilität, Entwaffnung und dem Rückzug der Hamas aus der Macht. Damit wird deutlich, dass finanzielle Hilfe eng an das entstehende politische und sicherheitspolitische Rahmenwerk gebunden ist.


Die Netanyahu-Regel…
— Im Kampf ums Überleben sind extreme Maßnahmen gerechtfertigt!
— … Besonders, wenn es um das Überleben meiner politischen Karriere geht!

David Horsey

Die innenpolitische Dimension
Eine Maariv-Umfrage zeigte eine Verbesserung der Position der Regierungskoalition nach der Freilassung der letzten Gruppe lebender Gefangener. Die Unterstützung für die Likud-Partei stieg, während die Partei Religiöser Zionismus unter Bezalel Smotrich die parlamentarische Schwelle überschritt. Im Gegensatz dazu fiel die Partei von Benny Gantz unter diese Schwelle.
Die Umfrage prognostizierte 58 Sitze für die Opposition, 52 für die Koalition und 10 für die arabischen Parteien, deren Anteil bei den nächsten Wahlen steigen könnte.

Für Netanjahu ist diese Konstellation ideal: Sie ermöglicht ihm, eine Sperrminorität zu bilden, die verhindert, dass die Opposition ohne Unterstützung einer arabischen Partei eine Regierung bildet, ein Szenario, das im zionistischen Konsens als inakzeptabel gilt. So könnte Netanjahu langfristig als Übergangspremierminister im Amt bleiben, mit minimaler parlamentarischer Kontrolle, was sein Interesse an vorgezogenen Wahlen erklärt, falls sich die Umfragetrends fortsetzen.

Zwischen Kriegsoption und Stabilitätsbedarf
Trotz der verschärften Rhetorik begrenzen sowohl innenpolitische als auch internationale Zwänge die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Krieges. Militärische, moralische und wirtschaftliche Erschöpfung in Israel sowie das Fehlen eines US-amerikanischen grünen Lichts machen eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten zu einem politischen Risiko statt zu einer strategischen Chance.

Der Trump-Plan, der breite regionale und internationale Unterstützung genießt, bildet den Eckpfeiler des US-amerikanischen Ansatzes zur Wiederherstellung des Gleichgewichts im Nahen Osten, insbesondere im Hinblick auf die geplanten Normalisierungsabkommen mit Saudi-Arabien und Indonesien. Ein Scheitern seiner Umsetzung würde das Vertrauen in die Fähigkeit der USA, regionale Vereinbarungen zu steuern, untergraben.

Das Dilemma der Leichen und die Rolle regionaler Akteure
Die Frage der Leichen der Gefangenen ist ein echter Prüfstein für die Haltbarkeit des Abkommens. Israelische Quellen räumen große logistische Hindernisse ein, die durch die Zerstörung der Infrastruktur und der Tunnel in Gaza entstehen, wo viele der Leichen noch vermutet werden.

Die Regierung Netanjahu hat strikt abgelehnt, türkische Ausrüstung bei den Bergungsarbeiten einzusetzen, eine politisch motivierte Entscheidung, die darauf abzielt, den Einfluss der Türkei zu begrenzen und deren Haltung zu Syrien auszunutzen. Dennoch wächst in Israel die Zahl der Stimmen, die sich für eine von der Palästinensischen Autonomiebehörde geführte Verwaltung Gazas aussprechen, um ein Machtvakuum zu verhindern, das Hamas oder anderen externen Akteuren zugutekommen könnte.

Schlussfolgerung
Israels Drohung, den Krieg wieder aufzunehmen, ist in erster Linie ein wahl- und medienstrategisches Manöver, das darauf abzielt, die innenpolitische Unterstützung zu mobilisieren und die Frage der Gefangenen politisch auszuschlachten.

Es gibt keine konkreten Anzeichen für eine tatsächliche Absicht, den Krieg neu zu entfachen, angesichts des fehlenden US-amerikanischen Rückhalts, der anhaltenden gesellschaftlichen und militärischen Erschöpfung und des starken Widerstands innerhalb der Armee.
Die Umbenennung des Krieges in „Krieg der Wiedergeburt“ spiegelt den Versuch wider, Untersuchungen und politische Verantwortung für die Fehlschläge des 7. Oktober zu vermeiden.
Zentrale israelische Entscheidungen — Krieg oder Frieden — bleiben eng mit Netanjahus Wahlkalkül und seinem Bemühen verknüpft, seine Macht zu sichern.
Der entscheidende Faktor der kommenden Phase wird das Engagement Washingtons für den Trump-Plan sein, der derzeit den einzigen gangbaren Rahmen für die israelisch-palästinensische Arena darstellt.

19/10/2025

Israels Politik der Trennung sichert den Fortbestand der Hamas, von Amira Hass

Amira Hass, Haaretz, 17.10.2025
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Übersetzt von Tlaxcala

Indem Israel Gaza von der Westbank isoliert und die Palästinenser von ihrem Land trennt, hat es zur Verfestigung der Hamas beigetragen und politische Alternativen ausradiert. Auch wenn der Traum von Luxusvillen in Gaza verschwunden ist, bleibt die zugrunde liegende Logik bestehen: Kontrolle über Territorium, indirekte Vertreibung und das fortgesetzte Erwürgen des palästinensischen Volkes unter dem Deckmantel der Sicherheit.


Ein Siedler schwingt einen Steinschleuder in Richtung Palästinenser, die im Dorf Beita in der Nähe von Nablus Oliven ernten, letzten Freitag. Der Waffenstillstand kann nicht als Niederlage für die Siedler betrachtet werden. Foto Jaafar Ashtiyeh / AFP

Die Versprechen eines Immobilienbooms in Gaza — von der Vision des Finanzministers Bezalel Smotrich, dem Versprechen des Ministers für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir für vornehme Viertel für Polizisten, und den Plänen der Siedlerführerin Daniella Weiss (mit göttlicher Hilfe), Siedlungen wiederherzustellen — haben sich alle als heiße Luft erwiesen.
Es ist verlockend zu sagen, dass das jetzt in Kraft tretende Waffenstillstandsabkommen im Gazastreifen der Siedlerbewegung und ihren Unterstützern in den USA einen schweren Schlag versetzt hat. Ebenso verlockend ist das Bild ihrer Sandburgen, die unter dem Gewicht der unvorstellbaren Ausdauer und Standhaftigkeit der Bewohner Gazas und unter Ägyptens harter, aber politisch kalkulierter Weigerung zusammenbrechen, eine massenhafte Flucht von Palästinensern auf ihr Territorium zuzulassen.
Die ägyptischen außenpolitischen Entscheidungsträger — ganz gleich, wer das Land regiert — haben schon lange Israels Absicht vermutet, Gaza und seine Probleme ihnen zuzuschieben. Von Beginn des Krieges an nahmen sie die israelischen Pläne zur Vertreibung der Bevölkerung Gazas und zur Umsiedlung von Juden dorthin ernst, wie sie offen von israelischen Beamten geäußert wurden, die offenbar vergessen hatten, dass ähnliche Versuche ihrer Vorgänger Mapai-Arbeitspartei, die Flüchtlinge von 1948 erneut aus Gaza zu vertreiben, gescheitert waren.


Finanzminister Bezalel Smotrich bei einer Siedlerkonferenz in Hebron im letzten Monat. Seine Versprechen zur Annexion erwiesen sich als bloße Luftnummern. Foto Itai Ron

Doch der Waffenstillstand darf nicht einfach als genüssliche Niederlage für das Siedlerlager betrachtet werden. Die politische Logik hinter jenen heißen Luftblasen und Sandburgen hat die israelische Politik seit der Unterzeichnung der Oslo-Abkommen geprägt und prägt sie weiterhin. Diese Logik ist erfolgreich gewesen darin, die Gründung eines Staates zu verhindern, der das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung verwirklicht — selbst wenn nur auf den verbliebenen 22 % des Landes zwischen Fluss und Meer.
Israels Sabotage der palästinensischen Souveränität ist das Spiegelbild seines Drangs, möglichst viel Land mit möglichst wenigen Palästinensern zu ergreifen. In der Praxis bedeutet das Vertreibung — sei es in Gebiet A oder ins Exil; durch Bomben der Luftwaffe oder durch Knüppel und Eisenstangen der „Hügeljugend“; durch Hauszerstörungen und erzwungene Räumungen, durchgeführt mit Waffengewalt durch die Zivile Verwaltung oder die IDF, oder durch die Inhaftierung und Verfolgung derjenigen, die versuchen, ihre Gemeinschaft und sich selbst zu schützen: das Ergebnis ist dasselbe.
Wenn dies die leitende Politik ist, sind internationale Bemühungen, palästinensische Schulbücher „zu reformieren“, dem Scheitern preisgegeben. Die tägliche Realität der systematischen Erstickung, die Israel aufzwingt, und seine Überheblichkeit, unterstützt durch seine überlegene Bewaffnung, sind die Väter der Anstiftung.
Eines der wirksamsten Werkzeuge zur Sabotage der palästinensischen Staatlichkeit war und bleibt die „Trennung“. In Sicherheitsbegriffen gerahmt, die das israelische Publikum gerne übernimmt — selbst wenn die politischen und immobilienbezogenen Motive offensichtlich sind — nimmt dieses Werkzeug viele Formen an: Gaza von der Westbank abzutrennen (seit 1991); die Westbank von Ostjerusalem zu separieren; palästinensische Städte voneinander zu teilen; Dörfer von den umliegenden Straßen und regionalen Zentren abzuschneiden; Palästinenser von ihrem Land und voneinander zu entkoppeln.
Offizielle Dokumente der Militärverwaltung der 1950er und 1960er Jahre — Jahrzehnte später veröffentlicht — bestätigten, was Palästinenser (und nicht-zionistische Linke) seit langem verstanden hatten: Die sogenannte „Sicherheits“-Begründung für harte Bewegungsbeschränkungen war weitgehend durch jüdische Immobilieninteressen motiviert. Die Vision einer fragmentierten palästinensischen Bevölkerung und Territorien auf beiden Seiten der Grünen Linie spiegelte stets den Plan eines „Großisraelischen Landes“ für Juden wider. Beide Visionen wirken noch heute parallel zu den vagen Klauseln des Trump-Plans für einen Waffenstillstand und ein „neues Nahost“.
Die koloniale Rechte kompensiert ihren teilweisen Verlust in Gaza — „teilweise“, weil die IDF das gemeinsame Ziel erreicht hat, in der Enklave maximale Zerstörung und Tod zuzufügen — durch Eskalation von Angriffen und Landnahmen in der Westbank. Das äußert sich hauptsächlich in der täglichen Trennung von Bauern von ihrem Land, eine Taktik mit sofortigen und schmerzhaften Konsequenzen. Zusammen mit der Zivilverwaltung, dem Militär und der Polizei beschleunigen Siedler diesen Prozess durch physische Gewalt, bürokratische Hindernisse und unersättliche Arroganz. Da wir uns gerade in der Olivenerntesaison befinden, haben die Bataillone des Herrn ihre Aufmerksamkeit auf die Ernte und die Erntehelfer selbst gerichtet.


Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Palästinensern, begleitet von Aktivisten, im Dorf Beita in der Westbank am Freitag. Foto Jaafar Ashtiyeh / AFP

Am Samstag, dem 11., als dieser Artikel geschrieben wurde, gab es bis zum Mittag Berichte über Belästigungen und direkte Angriffe von Siedlern und Soldaten — getrennt oder gemeinsam — gegen Olivenernter aus den Dörfern Jawarish, Aqraba, Beita und Madama südlich von Nablus; aus Burqa östlich von Ramallah; und aus Deir Istiya in der Region Salfit. Am Tag zuvor waren ähnliche Berichte eingegangen aus Yarza, östlich von Tubas; aus Immatin, Kafr Thulth und Far’ata in der Gegend von Qalqilya; aus Jawarish, Qablan, Aqraba, Hawara, Yanun und Beita im Nablus-Gebiet; und aus al-Mughayyir und Mazra’a al-Sharqiya östlich von Ramallah. Diese Berichte stammen aus einer einzigen WhatsApp-Gruppe, die das nördliche Westjordanland überwacht.
Die Belästigungen reichen von Eindringen, Provokationen, Straßensperren und bewaffneten Drohungen bis hin zu körperlichen Angriffen, Diebstahl von Oliven und Brandstiftung an Fahrzeugen von Erntehelfern und Journalisten. Und was Siedler sporadisch tun, das setzt die offizielle Politik systematisch um: die Verweigerung des Rechts der Palästinenser auf Bewegungsfreiheit zwischen Gaza und der Westbank sowie innerhalb der Westbank selbst. Die Verweigerung des Rechts, den Wohn- oder Arbeitsort zu wählen, war schon lange verheerend für die palästinensische Gesellschaft, Wirtschaft und politische Strukturen und insbesondere für die Zukunft ihrer Jugend.
Nicht weniger als die katarischen Geldkoffer, die Benjamin Netanyahu initiierte und in den Gazastreifen transferierte, haben die Trennung der Bevölkerung des Streifens von jener der Westbank und die Isolierung Gazas vom Rest der Welt — all dies dazu beigetragen, Hamas zu stärken — zuerst als politische und militärische Organisation und später als Regierungsgewalt.
In den 1990er Jahren behauptete Hamas, dass Israel keine wahre Absicht habe, Frieden zu schließen, und dass die Oslo-Abkommen nicht zur Unabhängigkeit führen würden. Die israelischen Bewegungsbeschränkungen in Gaza und seine fortgesetzte Ausweitung der Siedlungen sowohl in Gaza als auch in der Westbank machten dieses Argument für viele Palästinenser, insbesondere in Gaza, überzeugend. Die Selbstmordattentate des Hamas wurden sowohl als Reaktion als auch als Test gesehen: würde Israels Antwort Oslo-Gegner und Kritiker der Palästinensischen Autonomiebehörde belohnen?
Und Israel belohnte sie — durch Nichterfüllung seiner Verpflichtungen. Bewegungsbeschränkungen und bürokratischer Landraub schwächten Fatah und die Palästinensische Autonomiebehörde, die den diplomatischen Prozess unterstützt hatten, aber sich Anfang der 2000er Jahre dem bewaffneten Widerstand zuwandten.


Graffiti mit der Aufschrift „Tod dem Feind, Freiheit der Heimat“ in der Siedlung Atara, nahe Ramallah, im August. Was Siedler sporadisch tun, setzt die offizielle Politik systematisch um. Foto Nasser Nasser / AP

Die Hamas, die geschickt den Umstand umging, dass palästinensische Fragmentierung immer Israels Ziel gewesen war, stellte den israelischen Rückzug 2005 und den Abriss der Siedlungen als Beweis für ihren eigenen Erfolg dar: dass der bewaffnete Kampf funktionierte. Jede neue Schulabsolventenklasse — die niemals den versiegelten Streifen verlassen hatte, kein anderes Leben kannte und keine Arbeit fand — wurde anfälliger für die unterdrückerische [sic] Weltanschauung von Hamas, ihre Propaganda und die Rechtfertigung, sich ihrem bewaffneten Flügel anzuschließen (Einkommen, das verarmte Familien unterstützte). Hamas wusste, die aufgestaute Energie und Kreativität Gazas in seine militärische und politische Maschinerie zu lenken.
Die Palästinensische Autonomiebehörde, Fatah und ihr Sicherheitsapparat sind gegenüber der wachsenden Welle der Landenteignung in der Westbank und der direkten und indirekten wirtschaftlichen Verwüstung, die in diese Enteignung und Trennung eingebettet ist, machtlos geblieben, eine Situation, verschärft durch aufeinanderfolgende Aufträge israelischer Finanzminister, palästinensische Zolleinnahmen einzubehalten.
Aus Sicht der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank ist diese Ohnmacht untrennbar mit der Korruption der zivilen und militärischen Eliten der Autonomiebehörde verbunden, die als eigennützig und gleichgültig gelten, solange ihre eigenen Taschen gefüllt sind. Es ist daher nicht überraschend, dass der bewaffnete Widerstand — vor allem mit Hamas assoziiert — bei der Jugend der Westbank Ansehen bewahrt. Für sie verursacht bewaffneter Widerstand zumindest Leid und Demütigung dem israelischen Aggressor.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Israel weiterhin die Bewegungsfreiheit der Palästinenser zwischen der Westbank, Israel und Gaza blockieren und die Einreise von Palästinensern aus dem Ausland sowie von internationalen AktivistInnen in den Streifen einschränken wird. Infolgedessen werden diejenigen, die es am dringendsten hören müssten, nicht wissen können, was die Bewohner Gazas wirklich über bewaffneten Widerstand denken. Mit anderen Worten: wie viele von ihnen Hamas tatsächlich verachten. [und Du, Amira, weißt es ?, Anm. d. Übers.]

Soldaten bewachen den Bau einer neuen Siedlerstraße in der Westbank, westlich von Ramallah. Die sogenannte Sicherheitslogik der Bewegungsbeschränkungen war in Immobilieninteressen verwurzelt. Foto Zain Jaafar / AFP

Angesichts Israels Politik des Erstickens, Tötens, der Zerstörung und der Enteignung in der Westbank werden die meisten Palästinenser, die nicht im Streifen wohnen, zusammen mit vielen ihrer internationalen Unterstützer Hamas weiterhin als authentischen politischen Ausdruck des Strebens nach Freiheit und Widerstand gegen Unterdrückung ansehen.
Die Erfahrung zeigt, dass sobald die Räumung von Blindgängern und der Wiederaufbau Gazas beginnen, sich zeigen wird, dass der Prozess weitaus komplizierter und kostspieliger ist als zunächst erwartet. Jenseits des physischen Wiederaufbaus wird jeder der Millionen Bewohner Gazas körperliche und psychische Heilung sowie materielle Rehabilitation benötigen — in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und über eine Dauer, die jede Vorstellungskraft übersteigt.
Der richtige, gerechte und logische Ansatz besteht darin, es Palästinensern aus der Westbank und aus Israel zu ermöglichen, vollständig an diesem Prozess teilzunehmen, in Zusammenarbeit mit den überlebenden Fachleuten im Streifen: Strukturingenieure, Architekten, Bauarbeiter, Chirurgen, Augenärzte, Bauern, IT-ExpertInnen, Lehrkräfte, PsychologInnen, Sozialarbeiterinnen und SpezialistInnen für erneuerbare Energien.
Ebenso wäre es logisch, Programme in der Westbank zu entwickeln, um sich um die Zehntausenden von Kindern aus Gaza zu kümmern, die zu Waisen geworden sind oder so schwer verletzt wurden, dass bleibende Behinderungen entstanden sind.
Kurzum: Bevor die Welt internationale Ausschreibungen für den Wiederaufbau Gazas startet, technische Spezifikationen entwirft oder hohle Erklärungen zum Staaterkennen und zum Verschwinden der Hamas abgibt, muss sie zuerst die politischen Instrumente einsetzen, die ihr zur Verfügung stehen, um sicherzustellen, dass Israel seine destruktive Politik der Trennung zwischen Gaza, der Westbank und dem restlichen Land beendet.
Wenn das nicht geschieht — selbst wenn Hamas seine Waffen innerhalb Gazas niederlegen würde, wird sie, oder eine zukünftige Version von ihr, weiterhin als politische Adresse des palästinensischen Volkes dienen.