12/12/2021

MILENA RAMPOLDI
„Angst schaltet das Denken aus“: Klaus-Jürgen Bruder im Gespräch

 Milena Rampoldi, ProMosaik, 12.12.2021

Anbei mein Interview mit dem deutschen Psychologen und Psychoanalytiker Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder zu verschiedenen Themen, aber im Besonderen zum Thema der Macht als Konstante der menschlichen Geschichte. Diese Macht äußert sich in der Corona-Krise anders. Sie nimmt neue und undenkbare Formen an. Und darüber sollte man gerade in dieser schweren Zeit des Umbruchs nachdenken, um diesen Umbruch demokratisch und anti-totalitär von Unten mitzugestalten, bzw. umzugestalten. Im Besonderen geht es darum, unseren Geist zu schulen, um die Zeichen jeglicher Form totalitärer Macht zu erkennen und durch Widerstand von Unten im Keim zu ersticken. Denn letztendlich ist die gesamte menschliche Geschichte eine Geschichte des Totalitarismus, der mit der Angst des Menschen spielt und nur von kurzen Zeiträumen der „demokratischen Freiheit“ unterbrochen wird.


Klaus-Jürgen Bruder (Foto: arbeiterfotografie.com)

Sie befassen sich mit Macht, die Sie als eine Konstante in der menschlichen Geschichte und Gesellschaft ansehen. Warum äußert sich Macht seit der Corona-Krise so anders?

Sie eröffnen mit Ihrer Frage einen weiten Horizont und zugleich lassen Sie erkennen, dass unser Gespräch sich um die ganz aktuelle Problematik der Rolle der Macht in der Coronakrise kümmern sollte.

Lassen Sie mich zuerst die Frage beantworten: Welche sind die Hauptthemen Ihres Buches Lüge und Selbsttäuschung?

Der weite Horizont wird bereits durch den Begriff der Macht eröffnet, insofern er von der Macht des Menschen über sein Werkzeug, der Macht der Partner innerhalb einer Beziehung bis hin zur Macht der Verhältnisse reicht, von Macht der Natur bis zur gesellschaftlichen Macht und das alles innerhalb des nicht weniger weiten Horizonts der menschlichen Geschichte.

Die Zuspitzung oder Verengung auf die Rolle der Macht in der Coronakrise erfordert, uns auf jene Macht zu konzentrieren, die Max Weber in einem ersten Schritt diskursmächtig als „jede Chance“ bestimmt hat, „den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“[1]. Die Einschränkung: „innerhalb einer sozialen Beziehung“ müssen wir allerdings im Hinblick auf die „gesellschaftlichen Verhältnisse“ aufheben.

Gesellschaftliche Verhältnisse sind – im Kapitalismus - nicht persönliche, sondern (wie Marx sagt) „sachliche“, nicht persönliche Beziehungen ins große Ganze der Gesellschaft erweitert, sondern „Verhältnisse von Sachen“. Auch kann man nicht vom „eigenen Willen“ der Sachen sprechen – allerdings bleibt das „Widerstreben“ des eigenen Willens gegen die Durchsetzung der „Chance“ weiterhin real möglich – und damit die Macht der Verhältnisse als personale erlebbar, worauf die „Personalisierung der Macht“ sich im Bewusstsein der Menschen stützen kann.

In bürgerlichen Demokratien vollstreckt sich die Herrschaft der Macht über die Bildung von Bewusstsein, vermittels des Mediums des Diskurses (der Macht). Der Diskurs der Macht zeichnet sich gegenüber anderen Formen der Machtausübung wie Befehl, Gewalt, Zwang gerade durch deren Fehlen aus: der Adressat des Diskurses weniger gezwungen als vielmehr verführt: am Diskurs teilzunehmen - als souveränes Subjekt, das seine eigenen Argumente in den Diskurs einbringen kann, ihre Gültigkeit im Diskurs überprüfen kann. Seine Macht der Diskurs durch Überzeugung aus, allerdings behält er sich das Definitionsmonopol der Begriffe vor, genauer gesagt: die Herren des Diskurses, die Besitzer der Medien als Produktions – und Distributionsmaschinen. Der Adressat des Diskurses erlebt seine Unterwerfung unter die Regeln des Diskurses nicht als solche, sondern als Kompetenz, als Beherrschung der Regeln.

Die Macht der „Medien“ zeigte sich in der Corona – „Krise“ in bisher nicht zu übertreffender Weise. Allein durch Darstellungen, Berichte der Medien konnte die psychische Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung hergestellt werden, ihre alltäglichen Handlungsvollzüge, Praktiken und Gewohnheiten, sowie das Reden darüber von einem Tag auf den anderen zu ändern.

Allerdings wurden entscheidende Veränderungen bei den Begriffen und den Regeln des Diskurses vorgenommen: die ursprüngliche Bedeutung der Begriffe wurde in ihr Gegenteil verkehrt, das Prinzip der Verführung wurde durch das der Überrumpelung, der Drohung, der Anweisung bis hin zum Befehl ersetzt.

Die Möglichkeit dazu liegt in der Struktur des Diskurses selbst: Begriffe und ihre Bedeutung gehören unterschiedlichen Realitätsebenen an. Während die Begriffe sich auf der Ebene dessen bewegen, was man vermittels der Medien des Diskurses zu hören, zu sehen bekommt, wohnen die Bedeutungen auf „der anderen Seite der Barrikade“: der Seite der Absichten des Sprechenden. Diese Absichten sind dem Hörer, dem Empfänger der Rede nicht direkt zugänglich, ihm verschwiegen. Man sieht es dem Begriff „Solidarität“ nicht an, mit wem der Sprecher solidarisch zu sein verspricht bzw. fordert,

Jetzt komme ich zur Frage:  Warum äußert sich Macht seit der Corona-Krise so anders?

Es geht in der Corona-Krise um etwas ganz anderes, als bisher. Der Propagandist und Drehbuchautor der Kriseninszenierung, Klaus Schwab, beantwortet die Frage ganz eindeutig mit der Feststellung:
es geht nicht um die Fortsetzung der Herrschaft der Herrschenden Klassen, wie wir sie kennen, es geht um den „Umbruch“, ja sogar den “Großen Umbruch“ der Gesellschaft. Die dafür nötige Zeitspanne sei immer als sehr kurz betrachten. Alles komme darauf an, dass in dieser kurzen Zeitspanne entschieden alle notwendigen Veränderungen durchgesetzt werden.

Das ist der Grund, weshalb der Diskurs der Macht sich die bisher gestaltete „Großzügigkeit“ des Austauschs von Argumenten und Gegenargumenten nicht mehr leisten könne. Deshalb die Inszenierung mit einer Schock- Strategie eröffnet, und die entstehende Panik durch Drohung mehrheitsfähig Versprechen aufrechterhalten. Deshalb auch begnügen sich die Regisseure der Inszenierung nicht mit den üblichen Zeitvorstellungen und Regeln einer Pandemie.


 Sie beweisen in Ihren Arbeiten immer wieder, wie stark Psychologie und Politikwissenschaften zusammenhängen. Nennen Sie uns ein paar Hauptgründe, wofür dem so ist.

Ja, es gibt sogar ein eigenes Fachgebiet, das diesem Zusammenhang institutionalisiert hat: „Politische Psychologie“.

Dort wird allerdings dieser Zusammenhang nicht wirklich abgebildet. Vielmehr wird politische Psychologie nach dem Prinzip der „angewandten Psychologie“ verstanden: politisches Verhalten als Gegenstand psychologischer Forschung, ähnlich wie Marktpsychologie, pädagogische Psychologie, klinische Psychologie jeweils nicht den Gegenstand aus Betriebswirtschaftslehre, Pädagogik oder Medizin vorgeben lassen.

Der Zusammenhang, um den es hier geht, wird aber nicht in dieser oberflächlichen Weise der Anwendung psychologischer Ergebnisse und Methoden auf Gegenstände anderer Disziplinen erfasst.

Wenn wir von dem Selbstverständnis des Menschen als „Homo Politicus“, als politischem Wesen ausgehen, so ist der Gegenstand des Politischen als der davon abgetrennten Sphäre der parlamentarischen Institutionen, selbst wenn man Bürgerbeteiligung dazu nimmt, doch eine sehr reduzierte, und zwar an die Interessen dieser Institutionen bzw. ihrer Mitglieder gebundene Abstraktion. Die Konsequenz, dass politische Psychologie sich auf Politikberatung in den letzten Jahren immer mehr eingeengt hat, überrascht nicht.

Politische Psychologie wird in der Folge dieser Verengung immer mehr zugerichtet auf die Frage „wie ist dem Wahlbürger „die Politik“ jeweils zu vermitteln?“

In den Begriffen meines Ansatzes bedeutet das: diese politische Psychologie ist nichts anderes als die wissenschaftliche Begleitung des Diskurses der Macht, „PR“, vergleichbar der Marktpsychologie, die beste Verkaufsstrategie und Produktpräsentation erforscht, ihre „Qualitätskontrolle“ erstellt, und weiterentwickelt.

Der Diskurs der Macht ist tatsächlich der - geheime, nicht thematisierte - Gegenstand der politischen Psychologie, das zentrale Vermittlungsscharnier von Herrschaft. Unter den Bedingungen von Herrschaft entstanden und mit diesen untrennbar verwoben, hält der Diskurs der Macht diese Herrschaftsverhältnisse aufrecht, in dem er die Beherrschten als Subjekte anspricht. Indem diese in den Diskurs einsteigen und seine Parolen übernehmen, übernehmen sie ihre Herrschaft in eigene Regie (Brückner).

Der Diskurs der Macht kann diese Vermittlungsfunktion übernehmen, weil er sich an die Stelle des Mediums der Kommunikationen und des Austauschs setzt, derer sich die Menschen vor jeder Herrschaft und noch in den persönlichen Beziehungen bedienen. Er dringt in die Poren des Alltags, der Beziehungen ein, indem er sich als Vermittler aller Informationen anbietet, die wir brauchen, um uns im Alltag zu orientieren: er gibt uns Ratschläge über das „richtige“ Verhalten, Denken, Anleitungen für die Wahrnehmung unserer Umwelt, und unserer Stellung in ihr, in der Welt, dem Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse - Dadurch wirkt er normativ, - aber im Modus des Nahelegens, Verführens, Drängens.[2]

Die Sprachregelungen, Bewertungen, Ratschläge, Behauptungen, Parolen dieses Diskurses (der Macht) entfalten ihre normative Wirkung, indem das Individuum sie übernimmt, sie weiterträgt in den Alltag seines Lebensraumes. Sie diffundieren in die Kommunikation der vergesellschafteten Individuen: in allen unseren Gesprächen mit den unterschiedlichen Gesprächs-Partnern geht es um die Vergewisserung der eigenen Position im Diskurs der Macht, unserer „korrekten“ Haltung zu den Parolen des Diskurses der Macht: „Maske – Abstand – Impfen: zum Schutz – für Dich, für uns!“ und das Echo: „Die Ungeimpften sind schuld, dass wir das Virus noch nicht besiegt haben“.

Indem wir auf diese Weise in den Chor des ceterum censeo eingestimmt haben, tragen wir wiederum bei zu seiner Aufrechterhaltung, indem wir uns an diesem Diskurs beteiligen, in ihn eintreten. Der Diskurs der Macht ist die, (eine der) wichtigste(n) Bedingung(en) für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der psychologischen Mechanismen der Herrschaftsstabilisierung von Seiten der Beherrschten. Der invisible immaterielle Link, zwischen dem Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse und den vergesellschafteten Individuen.

Welche Verbindung sehen Sie heute zwischen Virologie und Totalitarismus und warum?

Diese Verbindung, die wir heute sehen, ist nicht nur äußerlich, sondern auch intrinsisch. Äußerlich , insofern  als der Totalitarismus  sich  der Virologie für seine Zwecke  bemächtigt hat. Intrinsisch  insofern , als das  Forschungsgebiet  der Virologie  sich abgekoppelt hat  von  über ihren Tellerrand hinaus  gehender Reflexion  und Rechtfertigung ihres  Tuns  und  ihrer Verantwortung.  Aber das  gilt  für einen  Großteil  der Wissenschaften :  so wie ich es für  die politischen Wissenschaften  beschrieben habe :  sie verleugnen  ihren Zusammenhang  zu gesellschaftlichen  Interessen , und d. h.  Klasseninteressen  bzw.  Interessen der  Herrschenden .

Was unterscheidet die diktatorischen Tendenzen von heute von denen der 1930er Jahre und warum?

Es gibt eine ganze Reihe von Unterschieden:

Fangen wir damit an, dass die diktatorischen Tendenzen die ganze Welt – mit ganz wenigen Ausnahmen – beherrschen. Es gibt kaum oppositionelle Staaten, die sich diesen Tendenzen entgegenstellten und die die dafür nötige Macht haben, wie in den dreißiger Jahren die Sowjetunion, die ja den Faschismus niedergerungen hat.

Sodann gingen die diktatorischen Regimes nicht aus einem Machtwechsel hervor, sondern es sind dieselben Personen, und Parteien, die bisher die parlamentarischen Demokratien repräsentiert und regiert haben, die den Regime Change durchgeführt haben.

Dieser Regime Change erfolgte zwar „diskursiv“, vermittelt über den Diskurs der Macht, zielt aber auf ein Überflüssigmachen dieses Diskurses hin.

In einem ersten Schritt wurde die diskursive Form der Machtausübung durch die behavioristische Methode von Belohnung und Entzug von Belohnung nach vorangegangener Entrechtung im Gefolge einer Schockstrategie ersetzt.

Dem folgte als zweiter Schritt die Strategie der Erpressung: „wenn Du nicht, dann kannst Du nicht“, die die direkte Manipulation über den Eingriff in den Körper mittels Injektion zum Ziel hat.

Die Feinderklärung erfolgte nicht, wie im Faschismus, durch die rassistische Konstruktion einer „minderwertigen“ Volksgruppe, sondern durch die Kriminalisierung des Widerstands gegen den Diskurs der Macht. Obwohl damit die Feinderklärung expliziter politisch ist, als beim Faschismus, ist der Widerstand dagegen – mit wenigen Ausnahmen – viel weniger politisch bewusst, bis dahin, dass die ehemals linken Kräfte nahezu komplett die Seite gewechselt haben.

Wie sehr wird mit der Angst der Menschen gespielt, um sie zu kontrollieren, damals wie heute, und wie wichtig sind Anprangerung und Diskriminierung, um Macht über Menschen auszuüben?

„Angst“ ist ganz zentral bei diesem Spiel. Zunächst die Angst vor Krankheit und Tod, der als grauenhafter Tod an die Wand gemalt wurde. Dann die Angst vor „sozialem Tod“: sozialem Ausschluss, nicht dazu gehören, verächtlich gemacht werden, beschämt werden. Das hat nicht nur die finanzielle Seite: Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, mit dem der bedroht wird, der nicht mitspielt, sondern auch die Angst, die gesellschaftliche Anerkennung, Reputation zu verlieren, als „unsolidarisch“ verachtet zu werden, wenn man dem „Hygiene“-Kommando nicht folgt.

Angst schaltet das Denken aus.

Und nicht zuletzt entscheidet die „Ökonomie des Gehorsams“ (Peter Brückner): Widerstand ist anstrengend, es ist anstrengend, sich unabhängig vom Diskurs der Macht zu informieren, es ist einfacher, bequemer, über sich ergehen zu lassen, „was man nicht ändern kann“.

🚩Weiteres zu den Veröffentlichungen von Prof. Dr. Bruder finden Sie auf seiner Webseite Psychologie und Postmoderne



[1] Max Weber (1921/22): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen. Kapitel 1, § 16; die Fortführung „gleichviel worauf diese Chance beruht“ habe ich weggelassen, weil sie uns hier nicht interessieren muss.

[2] Im Unterschied (Gegensatz) zu dem von Freud analysierten Prozess der Umsetzung von äußerem Zwang in inneren (1915, S. 333) als Verinnerlichung, oder Brückner (1972, S. 26): Übernahme der Herrschaft in eigene Regie.

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