22/01/2022

ANNAMARIA RIVERA
Rassismus von oben, Rassismus von unten : lasst uns ein bisschen Klarheit schaffen

Annamaria Rivera, Comune-Info, 20/1/2022
Übersetzt von
Fausto Giudice, Tlaxcala  

Vorab sei angemerkt, dass der Begriff "Rassismus" im Singular dem Begriff "Rassismen" vorzuziehen ist, wenn man den einheitlichen Charakter des Konzepts jenseits der historischen und empirischen Variationen des Phänomens erfassen will. Um ein solches System zu benennen, sind wir paradoxerweise gezwungen, ein Lemma zu verwenden, dessen Etymologie sich auf den Glauben an die Existenz von "Rassen" bezieht, der von einem großen Teil derselben Sozial- und Biowissenschaften, die zu seiner Ausarbeitung beigetragen hatten, kritisiert und dann aufgegeben wurde. "Rasse" ist in der Tat eine ebenso unbegründete wie paradoxe Pseudokategorie, da sie auf dem Postulat einer deterministischen Beziehung zwischen somatischen, physischen und genetischen Merkmalen und psychologischen, intellektuellen, kulturellen und sozialen Merkmalen beruht.


Kurz gesagt kann Rassismus als ein System von Überzeugungen, Darstellungen, Normen, Diskursen, Verhaltensweisen, Praktiken, politischen und sozialen Handlungen definiert werden, das darauf abzielt, Kategorien von Menschen, die fremdgemacht wurden, abzuwerten, zu stigmatisieren, zu diskriminieren, minderwertig zu machen, unterzuordnen, auszugrenzen und zu verfolgen, und dies bis hin zu Massakern und Ausrottung.

Ich schreibe „fremdgemacht“, weil die „Hautfarbe“ oder die tatsächliche kulturelle und/oder soziale Distanz zum Uns bei der Auswahl der Opfer keine Rolle spielen, wie die tragische Geschichte des Antisemitismus beweist. Die Stigmatisierung bestimmter Personengruppen kann unabhängig von somatischen, phänotypischen, kulturellen oder herkunftsbedingten Unterschieden erfolgen und ist das Ergebnis eines sozialen, symbolischen und politischen Konstruktionsprozesses.

Es genügt zu sagen, dass in der variablen Geometrie des italienischen Rassismus in den letzten Jahrzehnten die Rolle des Sündenbocks und der Zielscheibe alarmistischer Kampagnen von Zeit zu Zeit unter anderem albanischen, "slawischen" und rumänischen MigranteInnen zugeschrieben wurde, von denen man bis zum Beweis des Gegenteils nicht sagen kann, sie seien "NegerInnen" oder der europäischen Geschichte und Kultur fremd.



Die rassistische Propaganda von Vox in Spanien gegen unbegleitete minderjährige Ausländer, die angeblich elfmal mehr vom Staat bekommen sollten als eine arme einheimische Rentnerin („Deine Oma“). 

Rassismus wird systemisch, wenn er direkt oder indirekt von nationalen und supranationalen Institutionen und den Medien gefördert oder legitimiert wird. Wenn die „spontane“ Intoleranz gegenüber bestimmten Gruppen oder Minderheiten, die in der Gesellschaft weit verbreitet ist, von den Institutionen, auch den europäischen, und vom Staatsapparat sowie von der Propaganda und einem Teil des Informationssystems unterstützt und legitimiert wird, dann wird der Teufelskreis des Rassismus in Gang gesetzt.

Das Rassismus-System wird in den meisten Fällen durch symbolische, kommunikative und sprachliche Mittel unterstützt, die in der Lage sind, auf die Gesellschaft einzuwirken und Diskriminierung und Ungleichheit zu produzieren und zu reproduzieren. Vor allem wird er durch eine Reihe von Gesetzen, Normen, Verfahren und Routinepraktiken reproduziert, bestätigt und legitimiert: der so genannte institutionelle Rassismus, der nicht nur zu Diskriminierung führt, sondern auch zu einer Schichtung von Ungleichheiten beim Zugang zu sozialen, materiellen und symbolischen Ressourcen (Status, Staatsbürgerschaft, Arbeit, Sozialleistungen, Bildung, Wissen, Information usw.).

In dieser Hinsicht ist der Fall der institutionellen Delegitimierung, wenn nicht gar Kriminalisierung, beispielhaft, nicht nur für NRO, die Such- und Rettungsaktionen auf See durchführen, sondern auch für jeden Menschen, der, auch als Einzelner, Gesten der Solidarität gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen macht. Ganz zu schweigen vom Beitrag italienischer Institutionen zum Massaker an Flüchtlingen und Migranten, zu dessen Pfeilern das Memorandum of Understanding zwischen Libyen und Italien gehört, das nicht nur die Massaker im Mittelmeer legitimiert, sondern auch die Gräueltaten der so genannten libyschen Küstenwache und die in den „Auffangzentren“ für MigrantInnen stattfindenden, die in Wirklichkeit nichts anderes als KZ sind.

Es besteht kein Zweifel daran, dass ein solches Beispiel von oben Intoleranz und Rassismus "von unten" nur ermutigt und legitimiert. Um uns auf Italien zu beschränken, könnten wir die zahlreichen (realen oder symbolischen) Barrikaden gegen die Ankunft von Asylbewerbern anführen, aber auch die zunehmende Zahl so genannter spontaner Aufstände in Arbeitervierteln gegen die Zuweisung von Wohnungen an Familien mit Migrationshintergrund. Es ist bekannt: Mehr denn je kommt es in Krisenzeiten, aber auch dann, wenn soziale Ansprüche und Klassenkonflikte (wie man früher sagte) keine Sprache und keine Formen mehr haben, in denen sie sich ausdrücken können, vor, dass wirtschaftliche und soziale Not und das Gefühl, von den Institutionen im Stich gelassen zu werden, Ressentiments und die Suche nach Sündenböcken schüren.

In diesen Fällen könnte die Formel "Krieg zwischen den Armen" jedoch nicht unangemessener und irreführender sein, denn sie ist nur scheinbar nicht rassistisch und führt dazu, dass AngreiferInnen und Angegriffene als symmetrische Opfer dargestellt werden und die armen Menschen, die "gegeneinander Krieg führen", zu den einzigen oder wichtigsten Akteuren der rassistischen Szene werden. In Wirklichkeit sind es oft militante Mitglieder rechtsextremer Gruppen, die kollektive Ressentiments sozialisieren, manipulieren und umlenken, indem sie solche Krawalle anstiften und manchmal sogar anführen. In diesem Fall führt der Teufelskreis des Rassismus nur dazu, dass die neofaschistische Rechte, wenn nicht gestärkt, so doch legitimiert wird, wenn auch nur implizit oder unfreiwillig.

Das ideologische und erzählerische Schema, das sich auf den Begriff "Krieg zwischen den Armen" stützt, ist schließlich symmetrisch zu demjenigen, das sich auf die Schlüsselantithesen Sicherheit/Unsicherheit, Anstand/Verfall konzentriert, oder schließt sich an dieses an. Und was den Teufelskreis des Rassismus angeht, so ist es kein Zufall, dass solche Antithesen insbesondere im Text von Innenminister Minniti's Gesetz vom 18. April 2017, Nr. 48 („Dringende Bestimmungen zur Sicherheit in den Städten“) zu finden sind.

Schließlich wird mit diesem Gesetz lediglich die weit verbreitete Auffassung umgesetzt und legitimiert, dass MigrantInnen, Flüchtlinge, Roma, Obdachlose und Menschen am Rande der Gesellschaft für Erniedrigung, Unsicherheit und soziale Unruhen verantwortlich sind. Kurz gesagt, sie thematisiert die soziale Gefahr, die von denjenigen ausgeht, die als „AusreißerInnen“ gelten, und deren oft auferlegte Lebensweise und Praktiken.

Um zu versuchen, den Teufelskreis des Rassismus zu durchbrechen oder zumindest zu vereiteln, wäre es notwendig, eine große antirassistische Massenbewegung aufzubauen, die eines solchen mühsamen Unterfangens würdig wäre. Derzeit sind wir von einer solchen Aussicht noch weit entfernt.

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