Übersetzt von KoPI, herausgegeben von Tlaxcala
Die Entscheidung des israelischen Militärs, seine Richtlinien zur Feuereröffnung im besetzten Westjordanland zu revidieren, erscheint zunächst rätselhaft. Warum sollten israelische Soldaten mehr Palästinenser erschießen dürfen, wenn die bestehenden Armeehandbücher ihnen bereits nahezu völlige Immunität und kaum rechtliche Verantwortung gewähren?
T-Shirts für Scharfschützen, hergestellt von der Firma Adiv in Tel Aviv
„Jede arabische Frau soll wissen, dass das Schicksal ihres Kindes in meinen Händen liegt“.
Blau:
Schwangere Palästinenserin mit Scharfschützenvisier auf ihrem Bauch,
darunter: 1 Schuss, 2 getötet.
Weiß:
Palästinensisches Kind mit der Bildunterschrift: „Je kleiner, desto
schwieriger“ (zu zielen)
Die neuen Regeln des Militärs erlauben es israelischen Soldaten nun, mit
scharfer Munition auf fliehende palästinensische Jugendliche zu schießen und
sie sogar zu töten, weil sie angeblich Steine auf israelische „zivile“ Autos
geworfen haben. Dies gilt auch für Situationen, in denen die angeblichen
palästinensischen „Angreifer“ zum Zeitpunkt des Schusses keine Steine in der
Hand halten.
Der Verweis auf „Zivilisten“ im überarbeiteten Armeehandbuch bezieht sich auf
bewaffnete israelische jüdische Kolonisten, die das besetzte Westjordanland
und Ostjerusalem unter Missachtung des Völkerrechts und der palästinensischen
Souveränität kolonisiert haben. Diese Raubsiedler, die oft als
paramilitärische Kräfte in direkter Abstimmung mit der israelischen Armee
operieren, gefährden das Leben ihrer eigenen Familien, indem sie sich auf
besetztem palästinensischem Land niederlassen. Nach Israels verdrehten Maßstäben
sind diese gewalttätigen Israelis, die im Laufe der Jahre zahlreiche
Palästinenser getötet und verwundet haben, "Zivilisten", die vor
steinewerfenden palästinensischen „Angreifern“ geschützt werden müssen.
In Israel ist das Werfen von Steinen ein „schweres Verbrechen“ und
Palästinenser, die Steine werfen, sind „Kriminell“, so Liron Libman, Israels
ehemaliger oberster Militärstaatsanwalt, in einem Kommentar zu den neuen
Vorschriften. Für Israelis sind diese Behauptungen unumstritten, selbst für
diejenigen, die die Rechtmäßigkeit der neuen Regeln in Frage stellen. Der
Streitpunkt ist laut Libman und anderen, dass „eine Person, die flieht, keine
Bedrohung darstellt“, obwohl laut Libman selbst „die neue Politik
möglicherweise gerechtfertigt sein könnte“, berichtete die Times of Israel.
In dem palästinensischen Dorf Beita im nördlichen besetzten Westjordanland sind seit Mai acht unbewaffnete Palästinenser getötet worden. Dieses kleine Dorf war Schauplatz regelmäßiger Demonstrationen gegen die Ausweitung der jüdischen Raubsiedlungen und gegen den illegalen Außenposten Eviatar in der palästinensischen ländlichen Gegend des Dschebel Sabih. Zu den Opfern gehört Mohammed Ali Khabisa, der 28-jährige Vater eines acht Monate alten Kindes, der im vergangenen September erschossen wurde.
Obwohl die neuen Vorschriften den Status der vermeintlichen israelischen Opfer stark betonen und sie als „Zivilisten“ bezeichnen, hat das israelische Militär in der Praxis genau denselben Standard angewandt, um vermeintliche palästinensische Steinewerfer zu erschießen, zu verstümmeln und zu töten, selbst wenn keine bewaffneten Kolonisten anwesend waren.
Ein berühmter Fall aus dem Jahr 2015 betraf die Tötung des 17-jährigen palästinensischen Teenagers Mohammed Kosba durch den israelischen Armeeoberst Yisrael Shomer. Letzterer behauptete, Kosba habe einen Stein auf sein Auto geworfen. Daraufhin verfolgte Shomer den palästinensischen Teenager, schoss ihm in den Rücken und tötete ihn.
Der israelische Offizier wurde für sein Verhalten „getadelt“, nicht weil er den Jungen getötet hatte, sondern weil er nicht angehalten hatte, „um richtig zu zielen", so die Times of Israel. Der israelische Militärstaatsanwalt kam damals zu dem Schluss, dass „Shomers Einsatz von tödlicher Gewalt im Rahmen des Verhaftungsprotokolls aufgrund der Umstände des Vorfalls gerechtfertigt war“.
Dass Israel bei seinen Angriffen auf Palästinenser das Völkerrecht missachtet, ist kein Geheimnis. Israelische und internationale Menschenrechtsgruppen haben das unmenschliche und barbarische Verhalten der israelischen Armee in den besetzten Gebieten wiederholt verurteilt.
Bereits 2014 verurteilte Amnesty International in einem ausführlichen Bericht Israels „gefühllose Missachtung menschlichen Lebens durch die Tötung Dutzender palästinensischer Zivilisten, darunter auch Kinder, im besetzten Westjordanland“ im Laufe der Jahre. AI sagte, dass solche Tötungen „nahezu ungestraft“ stattfanden.
„Die Häufigkeit und das Fortbestehen willkürlicher und missbräuchlicher Gewalt gegen friedliche Demonstranten im Westjordanland durch israelische Soldaten und Polizeibeamte - und die Straffreiheit, die die Täter genießen - legt nahe, dass es sich dabei um eine vorsätzliche Politik handelt‘, heißt es im Amnesty-Bericht.
Sogar Israels eigene Menschenrechtsorganisation B'tselem stimmt dem zu. Die Organisation prangerte die „Shoot-to-kill-Politik“ der israelischen Armee an, die auch auf „Personen angewandt wird, die bereits ‚neutralisiert‘ wurden‘. Im Fall von Abdel Fattah al-Sharif, einem Palästinenser, der 2016 in Al-Khalil (Hebron) von einem israelischen Militärsanitäter, Elor Azaria, aus nächster Nähe erschossen wurde, war er vorher nicht nur „neutralisiert“ worden, sondern lag bewusstlos am Boden.
Laut B'tselem sind israelische „Soldaten und Polizisten zu Richtern, Geschworenen und Henkern geworden“. Angesichts dieser tragischen und unheilvollen Entwicklung stellt sich die Frage, warum die israelische Armee ihre Politik der Feuereröffnung gerade jetzt ändern sollte. Es gibt drei mögliche Antworten:
Erstens: Die israelische Regierung und die Armee rechnen in den kommenden Monaten mit einer Zunahme des palästinensischen Volkswiderstands, möglicherweise als Folge der massiven Ausweitung der illegalen Kolonien und der Zwangsräumungen im besetzten Ost-Jerusalem.
Zweitens: Durch die perfekte Anpassung der bestehenden Politik der Feuereröffnung an die bereits bestehende aggressive militärische Praxis des „Schießens zum Töten“ müssten israelische Gerichte nicht mehr mit rechtlichen Konsequenzen für die Tötung von Palästinensern, einschließlich Kindern, rechnen, unabhängig von den Umständen ihrer Ermordung.
Schließlich würden die geänderten Vorschriften Israel die Möglichkeit geben, sich im Rahmen der laufenden Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wegen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen im besetzten Palästina zu verteidigen. Israels Generalstaatsanwalt wird nun argumentieren, dass in Palästina keine Kriegsverbrechen begangen werden, da die Tötung von Palästinensern mit Israels eigenem militärischen Verhalten und Justizsystem vereinbar ist. Da der IStGH gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher und nicht gegen die Regierung selbst ermittelt, hofft Israel, dass es seinen eigenen Mördern ersparen kann, sich mit den rechtlichen Erwartungen des Gerichtshofs auseinandersetzen zu müssen.
Auch wenn der Zeitpunkt der Entscheidung des israelischen Militärs, seine Politik der Feuereröffnung zu ändern, plötzlich und ohne großen Kontext erscheinen mag, ist die Entscheidung dennoch bedrohlich. Wenn das Militär eines Landes beschließt, dass es legal ist, einem Kind in den Rücken zu schießen, ohne dass es Beweise dafür gibt, dass von dem angeblichen „Verbrecher“ irgendeine Gefahr ausgeht, muss die internationale Gemeinschaft dies zur Kenntnis nehmen.
Es stimmt, dass Israel außerhalb der Mindeststandards des internationalen und humanitären Rechts agiert, aber es liegt in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, die Palästinenser zu schützen, deren Leben wertvoll bleibt, auch wenn Israel damit nicht einverstanden ist.
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