Multinationale Verlagskonzerne in deutschem Besitz sind in Israels Völkermord an 2,3 Millionen Palästinensern im Gazastreifen verwickelt.
Publishers
for Palestine, Mondoweiss, 8/7/2024
Übersetzt von Helga
Heidrich,
herausgegeben von Fausto
Giudice Tlaxcala
Publishers for Palestine (VerlegerInnen für Palästina) ist ein globales Kollektiv von über 500 VerlegerInnen und VerlagsmitarbeiterInnen aus 50 Ländern weltweit. Wir setzen uns für Gerechtigkeit, Meinungsfreiheit und die Macht des geschriebenen Wortes ein. Die Projekte von P4P sind auf unserer Website oder auf @publishers4palestine und X @pubforpalestine zu finden. Lesen Sie unsere SOLIDARITÄTSERKLÄRUNG MIT PALÄSTINA (3/11/2023) [PDF DOCX]. Laden Sie unsere kostenlose Sammlung Poems for Palestine herunter.
Seit der Absage [*] einer Preisverleihung an die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli, die auf der Frankfurter Buchmesse mit dem LiBeratur-Preis ausgezeichnet werden sollte, im vergangenen Oktober eine Welle der Verurteilung ausgelöst hat, hat der Versuch, PalästinenserInnen und die Unterstützung für die palästinensische Sache durch kulturelle Institutionen im Westen zum Schweigen zu bringen, nur noch zugenommen. Gleichzeitig hat sich die Durchleuchtung der institutionellen Komplizenschaft mit der israelischen Apartheid und dem Völkermord in großem Umfang intensiviert. Bedeutende Erfolge der BDS-Bewegung, darunter der Ausstieg aus Universitäten und Unternehmen, sowie die jüngsten Ankündigungen des Hay Festivals 2024 und des Edinburgh International Book Festivals, ihre Partnerschaften mit der Investmentfirma Baillie Gifford zu beenden, die an der Klimazerstörung, der israelischen Apartheid und dem Völkermord beteiligt ist, die anschließende Beendigung der Finanzierungsbeziehungen von BG mit allen britischen Literaturfestivals und der Rückzug seiner Beteiligung an dem multinationalen Bergbauunternehmen Rio Tinto sowie die Halbierung der Beteiligung des großen kanadischen Kultursponsors Scotiabank an dem israelischen Waffenhersteller Elbit Systems deuten alle auf einen Wandel hin und zeigen, dass eine erhebliche Kluft zwischen großen Unternehmen und Kultureinrichtungen auf der einen Seite und ihren Beschäftigten, dem Publikum und der breiten Öffentlichkeit auf der anderen Seite besteht.
Bedeutende internationale Menschenrechtsorganisationen schlagen weiterhin Alarm wegen der entsetzlichen und eskalierenden Menschenrechtsverletzungen, die Israel gegen Millionen von Palästinensern begeht. Viele dieser Verstöße wurden in der von Südafrika im Dezember beim Internationalen Gerichtshof eingereichten Klage gegen Israel wegen Völkermordes aufgezeigt. Trotz der Anordnung dieses Gerichts vom Januar, dass Israel glaubhaft einen Völkermord begeht, trotz der darauf folgenden Anordnungen, dass Israel den Fluss humanitärer Hilfe zulassen und die Militäroperationen in Rafah einstellen muss, und trotz der Anträge des Internationalen Strafgerichtshofs auf Haftbefehle gegen hochrangige israelische Beamte, sowie trotz der massiven Studenten- und Arbeiteraufstände zur Unterstützung der palästinensischen Befreiung und zur Beendigung der Komplizenschaft mit Israel in der ganzen Welt, geht die völkermörderische Kampagne gegen das palästinensische Volk in Gaza im Wesentlichen ungehindert von seinen größten Unterstützern - den USA und anderen westlichen Kolonialmächten - weiter.
Von besonderer Bedeutung für Schriftsteller und Verleger ist die Tatsache, dass die Frankfurter Buchmesse (FBM), die weltgrößte Veranstaltung der Buchbranche, in der Vergangenheit die Präsenz des Apartheidstaates Israel sehr begrüßt hat. Man könnte meinen, dass Kultureinrichtungen, wie die FBM angesichts des israelischen Vorgehens und der stark zunehmenden internationalen Empörung diese Unterstützung zurückziehen, Israel für seine Verstöße verurteilen und die Beziehungen abbrechen würden. Doch die anfängliche Position der Frankfurter Buchmesse, Israel während der gesamten Laufzeit im Oktober letzten Jahres zu unterstützen - eine Position, die Erklärungen im Namen der Messe und des Geschäftsführers Jürgen Boos und Pläne beinhaltete, israelische Stimmen durch die Hinzufügung von Sonderprogrammen, einschließlich eines Panels mit dem Titel „In Sorge um Israel“, „besonders sichtbar“ zu machen - scheint bis heute unverändert zu sein, und die FBM hat sich in den folgenden Monaten auffällig still zu dem sich entfaltenden Völkermord verhalten.
Diese lautstarke und stillschweigende Unterstützung steht in krassem Gegensatz zu früheren nationalen Verboten seitens des großen internationalen Verlagsforums, einschließlich des seit 2022 bestehenden Verbots für Russland, das sich auf die „Verletzung des Völkerrechts“ infolge der russischen Invasion in der Ukraine beruft. In einem am 24. April verbreiteten Newsletter der FBM heißt es unter anderem „Buchmarkt Ukraine: Ruinierte Bibliotheken und neue Buchhandlungen“, in dem es heißt: „Es gibt eine Frage, die Verlegern auf internationalen Veranstaltungen und in privaten Gesprächen immer wieder gestellt wird: Wie können Sie während des Krieges weiterarbeiten?“ Doch die FBM erwähnt mit keinem Wort den Gazastreifen, wo SchriftstellerInnen, AkademikerInnen, VerlegerInnen, Bibliotheken, Universitäten und Druckereien schon lange vor dem 7. Oktober ins Visier genommen und in den vielen Monaten danach brutal beseitigt wurden. Diese Zerstörung von Wissen wurde ausführlich dokumentiert, unter anderem in einem gründlichen Bericht, der von Bibliothekaren und Archivaren mit Palästina (Librarians and Archivists with Palestine ) verfasst wurde. Die UNO hat seitdem über den "Scholastizid" in Gaza berichtet. Jede Universität in Gaza wurde zerstört. Die Tatsache, dass die FBM bisher weder ein ähnliches Verbot gegen Israel ausgesprochen hat, wie es Russland auferlegt wurde, noch auch nur einen Hauch von Besorgnis über Israels Verletzung internationalen Rechts geäußert hat, wirft ein Schlaglicht auf eine bereits bestehende Ungereimtheit.
Die Besonderheiten der Komplizenschaft der Frankfurter Buchmesse gehen jedoch über ihre öffentlichen Botschaften hinaus und können nur durch ihre engen Beziehungen zur deutschen Regierung und zu zwei deutschen Verlagsimperien, die zu milliardenschweren multinationalen Unternehmen wurden, verstanden werden: Holtzbrinck Publishing Group und Bertelsmann SE & Co. KGaA.
Zunächst muss die Bedeutung des israelischen Kulturbereichs - einschließlich der Verlags- und Literaturwelt - für die Aufrechterhaltung der israelischen Apartheid betont werden. Die Tatsache, dass der israelische Staat sich in hohem Maße auf seinen mitschuldigen Kultursektor verlässt und eng mit ihm zusammenarbeitet, um sein Image zu beschönigen, wurde öffentlich deutlich, als Nissim Ben-Sheetrit, ehemaliger stellvertretender Generaldirektor von „Brand Israel“, offen zugab, keinen Unterschied zwischen „Hasbara [Propaganda] und Kultur“ zu machen. Maya Winds neues Buch „Towers of Ivory and Steel : How Israeli Universities Deny Palestinian Freedom“ [Türme aus Elfenbein und Stahl: Wie israelische Universitäten die palästinensische Freiheit verweigern] beschreibt die Rolle der Universitäten speziell im Hinblick auf ihre Teilnahme in dieser Undifferenziertheit, Kollaboration und Komplizenschaft. Naomi Klein zufolge enthüllen Winds Recherchen „zahllose Wege, auf denen die berühmtesten und geschichtsträchtigsten Bildungseinrichtungen des Landes völlig in die gewalttätige Maschinerie der palästinensischen Enteignung, Besetzung, Einkerkerung, Überwachung, Belagerung und militärischen Bombardierung verstrickt sind“.
Diese Verflechtung von Kunst und Kultur mit den Zielen des israelischen Staates wird seit langem von der Palästinensischen Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI), einem Gründungsmitglied der palästinensisch geführten Boykott -, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), wirksam bekämpft. Die vor zwanzig Jahren ins Leben gerufene PACBI hat den Rest der Welt dazu aufgerufen, die Zusammenarbeit mit israelischen kulturellen und akademischen Einrichtungen, die sich mitschuldig machen, zu unterlassen. Um von dem Boykottaufruf von PACBI ausgenommen zu werden, muss eine Institution zwei Dinge tun: sich von Israels Völkermord und dem zugrunde liegenden siedlungskolonialen Apartheidregime distanzieren und die vollen Rechte des palästinensischen Volkes nach internationalem Recht, einschließlich des Rechts auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge, unterstützen.
Die größte Buchmesse der Welt und die deutsche Zensurstimmung
Das Programm der Frankfurter Buchmesse 2024 wird diesen Monat veröffentlicht [Gastland Italien]. Während wir auf die Veröffentlichung warten, nehmen die internationale Kritik und die Besorgnis über die Beschneidung der Bürgerrechte durch die deutsche Regierung in Form von Unterdrückungstaktiken zu, um die Solidarität mit Palästina zum Schweigen zu bringen. Dazu gehörten in den letzten Monaten die Durchsuchung und gewaltsame Schließung des Palästina-Kongresses in Berlin und das Verbot der Einreise nach Deutschland und der Teilnahme am Kongress (persönlich und online) für den palästinensisch-britischen Chirurgen und Rektor der Universität Glasgow Dr. Ghassan Abu -Sittah. Als er im Mai versuchte, nach Frankreich einzureisen, um vor dem französischen Parlament über seine Erfahrungen in Gaza zu sprechen, musste Abu-Sittah feststellen, dass Deutschland so weit gegangen war, ein einjähriges europaweites Reiseverbot gegen ihn zu verhängen.
Kürzlich hat Deutschland ein Gesetz verabschiedet, das von neuen Staatsbürgern verlangt, dass sie das „Existenzrecht“ Israels als 76 Jahre altes Apartheidregime gegen das palästinensische Volk bestätigen - anstatt seinen Verpflichtungen nachzukommen, die Komplizenschaft mit diesem Regime zu beenden.
Hinter dieser staatlichen Praxis der extremen Zensur steht Deutschlands enorme militärische und diplomatische Unterstützung für Israel. Deutschland liefert fast die Hälfte der aktuellen Waffenlieferungen Israels (an zweiter Stelle nach den USA) und ist sein größter Handelspartner in Europa und sein viertgrößter Exportpartner in der Region.
Die deutsche Buchverlagsbranche ist eine der größten der Welt mit einem Umsatz im Jahr 2022 von 11,4 Milliarden Dollar; der deutsche Buchumsatz ist enorm und liegt nur hinter den USA und China. Die Einbindung des Verlagswesens in den Propagandaapparat des Nazi- Regimes ist ein dunkler historischer Präzedenzfall. Aber die Beziehung kann heute kaum noch als unparteiisch bezeichnet werden. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Die Monopolkommission drängt auf die Abschaffung der Buchpreisbindung, die Bücher als Kulturgut schützen soll, und bezeichnet das Gesetz als „ordnungspolitisches Ärgernis ersten Ranges“; eine solche Abschaffung würde kleinere Verlage und BuchhändlerInnen vor ernsthafte Probleme stellen und die Präsenz progressiver Stimmen in der bereits stark überwachten kulturellen Atmosphäre Deutschlands unweigerlich noch weiter einschränken. Aber die Ziele der Kommission für den freien Markt sind klar: „Das kulturelle und politische Interesse des nationalen Gesetzgebers an Büchern muss gegen das Interesse an einem unverfälschten Wettbewerb abgewogen werden“.
Die Frankfurter Buchmesse ist sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrem Umfang einzigartig. Sie zählt jährlich 9.000 Aussteller und bietet ein umfangreiches Programm für das Publikum und die Branche. Die FBM ist eine Tochtergesellschaft des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und wird von diesem organisiert und geleitet. Der Börsenverein beaufsichtigt alle Ebenen des Buchhandels, einschließlich Verlagswesen, Herstellung, Zwischengroßhandel und Vertrieb, und kümmert sich auch um die politische Lobbyarbeit. Die FBM unterhält Beziehungen zu lokalen, regionalen und bundesstaatlichen Behörden und ist eng mit dem deutschen Staat verflochten. Die Finanzierung erfolgt durch die deutsche Regierung, einschließlich des Auswärtigen Amtes, sowie durch Verträge und Anmeldungen von Ausstellern und Besuchern aus der ganzen Welt.
Die Messe findet jedes Jahr im Oktober auf dem Gelände der Frankfurter Messe statt - einem riesigen Ausstellungs- und Kongresszentrum im Zentrum der Stadt. Das Messegelände ist zusammen mit anderen materiellen Beteiligungen, Telekommunikationsbeteiligungen und einem internationalen Netz von Zweigstellen für Konferenzen im Besitz der Messe Frankfurt GmbH und wird von dieser betrieben. Die Stadt Frankfurt ist mit 60 % und das Land Hessen mit 40 % an der Messe Frankfurt beteiligt. Als die Stadt Frankfurt im März 2023 ein Konzert von Roger Waters wegen dessen Unterstützung für Palästina absagte, wurde die Stadt in der Entscheidung „als Gesellschafter der Messe Frankfurt GmbH“ genannt.
Die Messe Frankfurt ist ein großer multinationaler Konzern mit einer israelischen Tochtergesellschaft und hat Verträge für Kongresse in der ganzen Welt abgeschlossen, darunter die Intersec, eine „Heimatschutz-, Notfalldienst-, Polizei- und Cyber-Messe“, auf der israelische Drohnen-, Überwachungs- und Militärtechnologie vorgestellt wurde. Die Intersec-Ausgabe 2025 soll einen Workshop zur Drohnenabwehr mit einem ehemaligen Auftragnehmer der israelischen Armee und einem israelischen Unternehmen für digitale Überwachung beinhalten. Wie Antony Loewenstein in The Palestine Laboratory detailliert darlegt, werden israelische Technologie- und Überwachungsindustrien entwickelt und aggressiv gegen das palästinensische Leben eingesetzt und dienen als Testgelände für brutale militärische Expansionsprojekte anderswo. Die Messe Frankfurt ist auch Gastgeberin des jährlichen Deutschen Israelkongresses, der 2010 ins Leben gerufen wurde und als „Europas größte Pro-Israel-Veranstaltung“ bezeichnet wird. Ziel des Kongresses ist es, wie es im Bericht der Messe Frankfurt für 2018 heißt, „die bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland auf allen Ebenen zu verbessern“.
Obwohl die Beteiligung israelischer Verleger an der Frankfurter Buchmesse in den letzten Jahren zurückgegangen zu sein scheint, präsentierten sich 2004 24 Verlage im israelischen Länderpavillon unter der Koordination des Außenministeriums und des Israel Export and International Cooperation Institute zusammen mit einer Sonderausstellung zur Feier des 40-jährigen Bestehens der deutsch- israelischen diplomatischen Beziehungen. Zu den „Verlegern“ gehörten israelische Think Tanks sowie das israelische Verteidigungsministerium. Im Jahr 2018 wurde unter anderem der Lavi P. Enterprises Ltd. Publishing House, dessen Gründer, Pierre H. Lavi (1963 in Teheran geboren) ein ehemaliger Geheimdiens-Offizier der israelischen Armee ist.
Ein Foto, das Deborah Feldman, die Autorin von „Unorthodox"“- einem
Buch, das zu einer beliebten, 2020 erschienene Netflix-Serie adaptiert wurde - online gepostet hat, erregte große
Aufmerksamkeit. Das Foto zeigte eine Abteilung des PowerHouse- Buchladens in
Brooklyn, die Israel und Palästina gewidmet ist. Feldman kommentierte das Foto
mit den Worten: „Für diesen Buchbestand könnte man in Deutschland eine
Buchhandlung schließen“.
Massive Investitionen deutscher multinationaler Verlage in israelische Technologie
In der Welt der Buchverlage jenseits der Frankfurter Buchmesse sind zwei der „Big Five“, Macmillan Publishers und Penguin Random House, im Besitz der bereits erwähnten deutschen multinationalen Unternehmen Holtzbrinck Publishing Group und Bertelsmann SE & Co. KGaA.
Holtzbrinck , Eigentümer von Macmillan und zahlreichen Verlagen weltweit, darunter Scientific American, Springer und Die Zeit, verfügt über ein Vermögen von 3,81 Milliarden US-Dollar, meldete für 2022 einen Umsatz von 4,14 Milliarden US-Dollar, besitzt 400 Unternehmen in aller Welt und verfügt über mindestens neun große Investitionsportfolios, die viele Millionen an Investitionen in israelische Technologie, KI, Überwachungs- und Sicherheitstechnologien umfassen, einschließlich der jüngsten Unternehmensübernahmen über b2venture und Insight Partners.
Holtzbrinck ist Gastgeber des Jerusalem International Book Forum Breakfast der Frankfurter Buchmesse, einer langjährigen jährlichen Veranstaltung auf der FBM, und seit 1985 Hauptsponsor des Birger Fellowship Program des JIBF, das gemeinsam mit der Stadt Jerusalem ins Leben gerufen wurde. Holtzbrinck stiftet das Museum on the Seam, „ein israelisches Museum an der Ost-West-Trennung Jerusalems“[†], das für sich in Anspruch nimmt, „das erste gesellschaftspolitische Museum in Israel für zeitgenössische Kunst zu sein, das Gleichheit, Menschenrechte und Vielfalt fördert“. Die Internationale Buchmesse in Jerusalem, eine ehemals öffentlichkeitswirksame, jetzt industrieorientierte Veranstaltung, hat ihre Ausgabe 2024 abgesagt und angekündigt, dass sie stattdessen 2025 wieder stattfinden wird, mit einem schrägen Verweis auf „die aktuelle Situation in Israel und der Region“.
Die Unterstützung von Holtzbrinck für israelische Start-ups geht über das Finanzielle hinaus und erstreckt sich auch auf die Reichweite ihrer Verlagsangebote. Ein Beteiligungsportfolio rühmt sich: „Neben finanziellen Mitteln unterstützen wir unsere Portfoliounternehmen mit Management-Know-how und einem internationalen Investorennetzwerk“ und beschreibt ein „exklusives Media-for-Equity- Programm, das Zugang zu starken Marken wie Handelsblatt, WirtschaftsWoche, Die Zeit und Apotheken Umschau und damit eine enorme Reichweite in den jeweiligen Zielgruppen bietet“.
Zu Bertelsmann, einem der größten Medienkonglomerate der Welt mit einem Rekordgewinn von 32,8 Milliarden Euro im Jahr 2022, gehören Penguin Random House und Dachkonzerne, wie das internationale Medienkonglomerat RTL Group, das Musiklabel und der Verlag BMG, der IT- und Finanzkonzern Arvato sowie eine Reihe von Bertelsmann- Teilkonzernen in den Bereichen Bildung, Druck und Rundfunk. In einer Atmosphäre scheinbar laxer Kartellgesetze umfasst das Bertelsmann- Verlagsmodell seit langem alle Ebenen des Buchmarkts, mit Beteiligungen nicht nur im Verlagswesen, sondern auch im Vertrieb, Buchhandel und Druck in Deutschland. Im Jahr 2000 wurde der ehemalige Bertelsmann- Chef Thomas Middlehoff in der New York Times zitiert, um die Bedeutung des Unternehmens für die Frankfurter Buchmesse zu unterstreichen: „Wissen Sie“, sagte er, „es ist wirklich meine Messe... Es ist die Bertelsmann-Buchmesse“.
Wie Holtzbrinck, geht auch Bertelsmanns globale Expansion weit über die Ursprünge des Verlagswesens hinaus und umfasst Investitionsportfolios auf der ganzen Welt, die ebenfalls umfangreiche Investitionen in israelische Technologie, KI, Überwachungs- und Sicherheitstechnologien in Millionenhöhe umfassen.
Ein weiterer Bertelsmann-Bericht mit dem Titel „German and Israeli Innovation : The Best of Two Worlds“ befasst sich mit der Unterstützung und Zusammenarbeit mit der israelischen Armee und den israelischen Geheimdiensten. Er unterstreicht die Bedeutung Tsahals für den Hightech-Sektor und den Nutzen der Wehrpflicht für den Sektor durch „Eliteprogramme, die Unternehmer hervorbringen, die durch Alumni- Programme in Verbindung bleiben“, verbindet akademische und wissenschaftliche Gemeinschaften mit diesen Projekten und hebt die Bedeutung der Datenerfassung und -entschlüsselung des israelischen Nachrichtendienstes für „datengesteuerte oder Cyber-Unternehmen, die einen ausgezeichneten Ruf auf dem Markt genießen“, hervor.
Das Dokument geht auch auf die Technologietransferbüros (TTOs) ein, die mit dem ausdrücklichen Ziel der Kommerzialisierung des an öffentlichen Universitäten erworbenen Wissens geschaffen wurden, und beschreibt Israels Gewinnstruktur, die „Streitkräfte, Universitäten in Zusammenarbeit mit TTOs, Regierungsbehörden, multinationale Niederlassungen und F&E-Labors, Risikokapitalfonds, Inkubatoren und Beschleuniger“ als ein wünschenswertes „Innovationsökosystem" umfasst.
Eine Erklärung auf der Bertelsmann-Website vom 23. Oktober 2023, die die wirtschaftliche Grundlage für die Beziehungen des Unternehmens zu Israel unterstreicht, ist bis heute eingestellt:
„Bertelsmann verurteilt die terroristischen Angriffe auf Israel aufs Schärfste. Wir stehen unverbrüchlich an der Seite unserer israelischen Freunde und Partner sowie des Staates Israel. Zwischen Bertelsmann und Israel ist über Jahrzehnte hinweg eine enge und äußerst stabile freundschaftliche Verbindung gewachsen. Sie reicht vom Engagement der Gesellschafterfamilie Mohn über Projekte der Bertelsmann Stiftung bis hin zu Geschäften und Beteiligungen von Bertelsmann in Israel. Den Menschen in Israel gilt unsere uneingeschränkte Solidarität.“
Von den Grundlagen des Nazi-Opportunismus zur Komplizenschaft heute
Die historischen Wurzeln sowohl von Holtzbrinck als auch von Bertelsmann verdienen ebenfalls Beachtung. Trotz früherer Bemühungen, ihre Verbindungen zu Nazideutschland herunterzuspielen, wurde in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren aufgedeckt, dass beide Unternehmen ihre Verlagsimperien explizit durch Kollaboration mit dem NS-Staat und durch Opportunismus aufgebaut hatten. Laut Artikeln in Vanity Fair, der Irish Times und Radio Free Europe war das Holtzbrinck- Verlagsimperium - das zu diesem Zeitpunkt Macmillan und zahlreiche Verlage wie St. Martins, Picador und den Fischer Verlag, Die Zeit und die Backlists vieler der bekanntesten englischsprachigen Autoren umfasste – „auf dem Nationalsozialismus aufgebaut“. Bertelsmann hatte zu der Zeit, als diese Artikel erschienen, gerade Random House übernommen, zu dem auch Knopff und Tochtergesellschaften gehörten, und hatte bereits Bantam, Doubleday, Delacourt und viele andere erworben.
Was David Margolick in seinem Artikel in der Vanity Fair [“The German Front”, Juni 1998] als „Schicksalsschlag“ bezeichnet, ist, dass Teddy Kollek, den er als „einen der großen Helden des Zionismus“ bezeichnet, „regelmäßig den Charakter“ des Gründers Georg von Holtzbrinck, den er als „diesen ehemaligen Nazi“ bezeichnet, bezeugt hat.
Georg von Holtzbrinck (1909-1983), NSDAP-Mitgliedskarte Nr. 2.126.353, ausgestellt am 1. Mai 1933
Ronald Eggleston hat diese Geschichte in seinem 2002 erschienenen Artikel für Radio Free Europe [Germany: Publishing Houses Look Into Their Pasts, And Don't Like What They Find] näher beschrieben. Georg von Holtzbrinck war 1933 der Nazi-Partei beigetreten und blieb dem Dritten Reich bis zum Ende treu. Eggleston weist auch darauf hin, dass „von Holtzbrinck nach dem Zweiten Weltkrieg den Ruf eines Freundes Israels genoss, der die Unterstützung jüdischer Führer pflegte und viele Einrichtungen in Jerusalem finanziell und anderweitig unterstützte“.
Eggleston beschreibt, wie Bertelsmann „seine Verbindungen zum Naziregime nutzte, um sich von einem provinziellen Verlag für lutherisch-religiöse Bücher in einen Massenverlag zu verwandeln“. Der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Heinrich Mohn, „war Mitglied einer Gruppe, die die Nazi-SS-Sonderpolizei durch monatliche Spenden unterstützte und auch andere nationalsozialistische Zwecke förderte“. Eggleston zufolge baute Bertelsmann sein Imperium auf Nazi-Propaganda auf und veröffentlichte 19 Millionen Bücher mit „heroischer und Escape-Literatur für Nazi-Soldaten“. Bertelsmann war der größte Buchlieferant der Wehrmacht, darunter auch Titel „voller antisemitischer Themen“. Eine Untersuchungskommission über die nationalsozialistischen Wurzeln von Bertelsmann fand außerdem heraus, dass das Unternehmen in einer Druckerei in Litauen, die für einige seiner Publikationen genutzt wurde, jüdische Zwangsarbeiter einsetzte. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass „Bertelsmann während des Dritten Reiches ein Wirtschaftsunternehmen blieb, dessen verlegerische Entscheidungen auf Umsatz, Gewinn, Investitionen und anderen steuerlichen Daten beruhten“.
Der Gedanke, dass die Entscheidungen von Bertelsmann oder Holtzbrinck eher wirtschaftlich als ideologisch motiviert waren, sollte unsere Aufmerksamkeit auf die Frage lenken, warum diese Beweggründe weniger schrecklich erscheinen sollten, wenn die Entmenschlichung und der Völkermord an einem Volk das Endergebnis ist - sei es in der Geschichte oder in der Gegenwart. Wir sollten uns auch veranlasst sehen, unsere kollektive Unterstützung in der Gegenwart, in der Buchbranche und darüber hinaus, zu analysieren, und zwar nicht nur in Bezug auf die Komplizenschaft verflochtener Institutionen wie der Frankfurter Buchmesse, sondern auch in Bezug auf das Wirtschaftssystem, das solche Beziehungen ermöglicht und so vollständig und konsequent den Weg für die Entmenschlichung aus Profitgründen ebnet.
Anm. d. Hrsgb
[*] Der Organisator LtiProm e.V. erklärte dazu: „Aufgrund des durch die Hamas begonnenen Kriegs, unter dem Millionen Menschen in Israel und Palästina leiden, hat sich der Organisator Litprom e.V. entschlossen, die geplante Preisverleihung des LiBeraturpreises auf der Frankfurter Buchmesse abzusagen. Litprom sucht nach einem geeigneten Rahmen der Veranstaltung zu einem späteren Zeitpunkt. Die Preisvergabe an Adania Shibli stand zu keinem Zeitpunkt in Frage. Die in Teilen der Presse erhobenen Vorwürfe und Diffamierungen gegen die Autorin und den Roman weist Litprom entschieden und als inhaltlich nicht begründet zurück.“ (s. vollst.Erklärung hier)
[†] Das an der Demarkationslinie zwischen Ost- und Westjerusalem gelegene Gebäude war von dem Architekten Andoni Baramki auf einem Grundstück errichtet worden, das die Familie Turjman in den 1930er Jahren ihm verkauft hatte. Die Zionisten hatten sich das Haus 1948 widerrechtlich angeeignet und nutzten es bis zum Krieg von 1967 als militärischen Beobachtungsposten und danach als Polizeistation. Die rechtmäßigen Eigentümer versuchten vergeblich, ihr Grundstück und ihre Gebäude auf legalem Wege zurückzubekommen. Das Gebäude, das zum „Turjman Postmuseum“ wurde, wurde 1983 von Teddy Kollek eingeweiht. Sein wichtigster Förderer, Georg von Holtzbrinck, starb in Deutschland am Tag der Eröffnung und Kollek (geboren in Wien) gedachte ihm auf Deutsch, was er zum ersten Mal öffentlich machte. Es wurde 1999 in Museum on the Seam [Museum an der Nahtstelle] umbenannt und profitierte bis 2015 vom Mäzenatentum der Familie von Holtzbrinck.
1966: Marlene Dietrich und zu ihren Füßen Teddy Kollek, der 28 Jahre lang der „Wiener Bürgermeister“ von Jerusalem war. Foto Michael Maor
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire