Die Hysterie in Deutschland bei Politikern und in den Medien angesichts der Ereignisse im „Heiligen Land“, wie Israel im ZDF bezeichnet wird, ist inzwischen unerträglich geworden. Man mag diese Hysterie kaum mehr kritisieren, denn das ähnelt dem Versuch, Wasser in einen Eimer gießen, der ein Loch im Boden hat. Die Bombennächte von Tel Aviv gleichen zwar den Bombennächten von Gaza, zumindest was die Angst der Bevölkerung betrifft, aber zu viele Israelis akzeptieren leider die Lügen ihrer Regierung, und in Deutschland ist es nicht anders. Besatzer und Besetzte haben Angst vor einem drohenden Krieg, vor einer ungewissen Zukunft. Bei einem Krieg gibt es keine Sieger, nur Verlierer.
Carlos Latuff
Und wir in Deutschland haben Angst vor verzweifelt protestierenden palästinensischen und moslemischen Jugendlichen und schützen uns, indem wir sie Antisemiten nennen. Auf einer proisraelischen Demonstration in München sagte eine Jüdin, die in Israel lebt, sie habe in München mehr Angst als in Sderot, wo täglich Raketen aus Gaza fallen. Das ist nicht nur übertrieben, das ist vollkommen krankhaft. Die Polizei und die Medien berichten, dass fast alle Kundgebungen und Demonstrationen friedlich verlaufen sind. Wie dogmatisch muss man sein, um nicht nur zu ignorieren was in Deutschland stattfindet, sondern auch was in Sderot passiert.
Seit Jahren werden Palästinenser aus ihren Wohnungen und Häusern in Ostjerusalem vertrieben. Sie sollen Platz machen für national-religiöse jüdische Siedler. Was zurzeit in Sheikh Jarrah passiert, ist nicht nur ein Paradebeispiel ethnischer Säuberung und israelischer Besatzungsgewalt, sondern gleichzeitig auch ein Beispiel für die skrupellose Politik eines rechtsreaktionären, autoritären Ministerpräsidenten, der bereit ist, israelische Soldaten und palästinensische Zivilisten zu opfern, nur um von seinen Gerichtsverfahren abzulenken und an der Macht zu bleiben. Da Netanjahu keine Mehrheit hat, um eine Koalition zu bilden, sucht er die Eskalation in Jerusalem, um einen Keil zwischen seine politischen Gegner zu treiben, was ihm ja auch gelungen ist, denn die arabische Raam-Partei, die bereit war, mit seinen Gegnern zu koalieren, hat dies jetzt angesichts der jüngsten Entwicklungen natürlich widerrufen.
Inzwischen haben die Palästinenser angefangen sich zu wehren. Und als das international bekannt wurde, krochen die journalistischen und politischen Heuchler überall aus ihren Löchern. Ohne sich sachkundig gemacht zu haben, wissen sie, wie sie schreiben müssen: zum einen pro-israelisch und zum anderen hetzerisch. Besonders tüchtig posaunt die konservative Zeitschrift „Focus“ mit ihren Korrespondenten Ulrich Reitz und Hugo Müller-Vogg ihr Nichtwissen laut und deutlich vernehmbar hinaus, und Politiker wie Heiko Maas und Cem Özdemir reden nur noch von Antisemitismus, als ob sich damit die Gemengelage in Israel/Palästina erklären ließe.
So schreibt Reitz – wenn ich mit dem letzten Absatz seines Pamphlets beginnen darf, dass das Logo von Paliroots eine Karte von Israel samt Gazastreifen und Westjordanland in den palästinensischen Farben zeige, – mit anderen Worten: „Die Organisation erkennt das Existenzrecht des Staates Israel nicht an.“ Ist das nun ein Beweis für palästinensische Politik oder ist das ein Beweis für zwanghafte Interpretationen? Sicher aber ist: Israel jedenfalls erkennt das Existenzrecht eines Staates Palästina schon gar nicht an.
Das Verständnis für die Zusammenhänge kann nur jemandem abgehen, der von den Verhältnissen vor Ort nichts wissen will. Paliroots ist eine Handelsmarke für wirtschaftliche Erzeugnisse. Die 2016 gegründete Mission von PaliRoots ist es, die Welt für die palästinensische Kultur zu sensibilisieren, indem Spezialprodukte hergestellt werden, die von dieser Kultur inspiriert sind.
Das Logo zeichnet die Umrisse des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina. Wie soll die Handelsmarke die politische Aussage transportieren, Israel existiere nicht oder sein Existenzrecht werde nicht anerkannt. Die Marke weist allenfalls auf den Ursprung der Ware aus dem einstigen Mandatsgebiet hin.
Wenn man allerdings in Israel einen Leihwagen mietet, bekommt man eine Straßenkarte gratis dazu. Diese wird vom israelischen Verkehrsministerium herausgegeben. Auch auf dieser sind, genau wie auf der Karte von Paliroots, keine Grenzen verzeichnet. Der Autoverleih weist darauf hin, dass die Versicherung nur „innerhalb der Grenzen Israels“ gültig sei. Und wo sind die Grenzen auf dieser Karte des Ministeriums angezeigt? Fehlanzeige! Es finden sich keine Grenzen. Die Karten des Autoverleihs sind identisch mit denen der Regierung und dürfen nur in dieser Form ausgehändigt werden.
Aber hierzulande glaubt man, die Schuld für fehlende Grenzlinien auf Karten bei den Palästinensern abladen zu dürfen. Warum greifen sich die deutschen Medien, wie einst der Stürmer, willkürlich Fakten heraus, um sie politisch zu skandalisieren? Für Julius Streicher, den Herausgeber des Stürmers, waren die Juden so etwas wie Ratten. Sie erscheinen in Streichers Zeitschrift auch als Vertreter des amerikanischen Kapitals. Auf jeden Fall waren sie grundsätzlich an allem schuld (Die Juden sind unser Unglück!). Ulrich Reitz und Hubert Meyer-Vogg kupfern im Grunde von Altmeister Julius Streicher ab. Dabei wechseln sie nur das Feindbild aus: Für sie sind grundsätzlich die Palästinenser an allem schuld.
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