Abi Melzer, Der Semit, 19/5/2021
Die Hysterie in Deutschland bei
Politikern und in den Medien angesichts der Ereignisse im „Heiligen
Land“, wie Israel im ZDF bezeichnet wird, ist inzwischen unerträglich
geworden. Man mag diese Hysterie kaum mehr kritisieren, denn das ähnelt
dem Versuch, Wasser in einen Eimer gießen, der ein Loch im Boden hat.
Die Bombennächte von Tel Aviv gleichen zwar den Bombennächten von Gaza,
zumindest was die Angst der Bevölkerung betrifft, aber zu viele Israelis
akzeptieren leider die Lügen ihrer Regierung, und in Deutschland ist es
nicht anders. Besatzer und Besetzte haben Angst vor einem drohenden
Krieg, vor einer ungewissen Zukunft. Bei einem Krieg gibt es keine
Sieger, nur Verlierer.
Carlos Latuff
Und wir in Deutschland haben Angst vor
verzweifelt protestierenden palästinensischen und moslemischen
Jugendlichen und schützen uns, indem wir sie Antisemiten nennen. Auf
einer proisraelischen Demonstration in München sagte eine Jüdin, die in
Israel lebt, sie habe in München mehr Angst als in Sderot, wo täglich
Raketen aus Gaza fallen. Das ist nicht nur übertrieben, das ist
vollkommen krankhaft. Die Polizei und die Medien berichten, dass fast
alle Kundgebungen und Demonstrationen friedlich verlaufen sind. Wie
dogmatisch muss man sein, um nicht nur zu ignorieren was in Deutschland
stattfindet, sondern auch was in Sderot passiert.
Seit Jahren werden Palästinenser aus
ihren Wohnungen und Häusern in Ostjerusalem vertrieben. Sie sollen Platz
machen für national-religiöse jüdische Siedler. Was zurzeit in Sheikh
Jarrah passiert, ist nicht nur ein Paradebeispiel ethnischer Säuberung
und israelischer Besatzungsgewalt, sondern gleichzeitig auch ein
Beispiel für die skrupellose Politik eines rechtsreaktionären,
autoritären Ministerpräsidenten, der bereit ist, israelische Soldaten
und palästinensische Zivilisten zu opfern, nur um von seinen
Gerichtsverfahren abzulenken und an der Macht zu bleiben. Da
Netanjahu keine Mehrheit hat, um eine Koalition zu bilden, sucht er die
Eskalation in Jerusalem, um einen Keil zwischen seine politischen Gegner
zu treiben, was ihm ja auch gelungen ist, denn die arabische
Raam-Partei, die bereit war, mit seinen Gegnern zu koalieren, hat dies
jetzt angesichts der jüngsten Entwicklungen natürlich widerrufen.
Inzwischen haben die Palästinenser
angefangen sich zu wehren. Und als das international bekannt wurde,
krochen die journalistischen und politischen Heuchler überall aus ihren
Löchern. Ohne sich sachkundig gemacht zu haben, wissen sie, wie sie
schreiben müssen: zum einen pro-israelisch und zum anderen hetzerisch.
Besonders tüchtig posaunt die konservative Zeitschrift „Focus“ mit
ihren Korrespondenten Ulrich Reitz und Hugo Müller-Vogg ihr Nichtwissen
laut und deutlich vernehmbar hinaus, und Politiker wie Heiko Maas und
Cem Özdemir reden nur noch von Antisemitismus, als ob sich damit die
Gemengelage in Israel/Palästina erklären ließe.
So schreibt Reitz – wenn ich mit dem letzten Absatz seines Pamphlets beginnen darf, dass das Logo von Paliroots
eine Karte von Israel samt Gazastreifen und Westjordanland in den
palästinensischen Farben zeige, – mit anderen Worten: „Die Organisation
erkennt das Existenzrecht des Staates Israel nicht an.“ Ist das nun ein
Beweis für palästinensische Politik oder ist das ein Beweis für
zwanghafte Interpretationen? Sicher aber ist: Israel jedenfalls erkennt
das Existenzrecht eines Staates Palästina schon gar nicht an.
Das Verständnis für die Zusammenhänge kann nur jemandem abgehen, der von den Verhältnissen vor Ort nichts wissen will. Paliroots ist eine Handelsmarke für wirtschaftliche Erzeugnisse. Die 2016 gegründete Mission von PaliRoots
ist es, die Welt für die palästinensische Kultur zu sensibilisieren,
indem Spezialprodukte hergestellt werden, die von dieser Kultur
inspiriert sind.
Das Logo zeichnet die Umrisse des
ehemaligen Mandatsgebiets Palästina. Wie soll die Handelsmarke die
politische Aussage transportieren, Israel existiere nicht oder sein
Existenzrecht werde nicht anerkannt. Die Marke weist allenfalls auf den
Ursprung der Ware aus dem einstigen Mandatsgebiet hin.
Wenn man allerdings in Israel einen
Leihwagen mietet, bekommt man eine Straßenkarte gratis dazu. Diese wird
vom israelischen Verkehrsministerium herausgegeben. Auch auf dieser
sind, genau wie auf der Karte von Paliroots, keine Grenzen
verzeichnet. Der Autoverleih weist darauf hin, dass die Versicherung nur
„innerhalb der Grenzen Israels“ gültig sei. Und wo sind die Grenzen auf
dieser Karte des Ministeriums angezeigt? Fehlanzeige! Es finden sich
keine Grenzen. Die Karten des Autoverleihs sind identisch mit denen der
Regierung und dürfen nur in dieser Form ausgehändigt werden.
Aber hierzulande glaubt man, die Schuld
für fehlende Grenzlinien auf Karten bei den Palästinensern abladen zu
dürfen. Warum greifen sich die deutschen Medien, wie einst der Stürmer,
willkürlich Fakten heraus, um sie politisch zu skandalisieren? Für
Julius Streicher, den Herausgeber des Stürmers, waren die Juden so etwas
wie Ratten. Sie erscheinen in Streichers Zeitschrift auch als Vertreter
des amerikanischen Kapitals. Auf jeden Fall waren sie grundsätzlich an
allem schuld (Die Juden sind unser Unglück!). Ulrich Reitz und Hubert
Meyer-Vogg kupfern im Grunde von Altmeister Julius Streicher ab. Dabei
wechseln sie nur das Feindbild aus: Für sie sind grundsätzlich die
Palästinenser an allem schuld.
Weiterlesen